Richter- und Anwaltschaft im Dialog

Unser Autor, Herr Rechtsanwalt Hofele, hatte die Gelegenheit „Votum“, ein paar Gedanken zu Richter- und Anwaltschaft im Dialog zu äußern, die sich für ihn aus der täglichen Arbeit ergaben. Er hatte hier drei Fragen angesprochen:
Bei Terminsverlegungsanträgen einer Partei hatte er sich gefragt, warum das nicht öfters von Seiten des Gerichts telefonisch geklärt wird, bevor neu terminiert wird. Bei Terminierungen hatte er seinen Eindruck weitergegeben, dass bei den Terminierungen zu wenig auf eine sich aus der Klageschrift bzw. den Schriftsätzen ergebende Dringlichkeit der Sache geachtet wird Schließlich wünschte er sich mehr Einsatz der Technik, insbesondere des § 128 a ZPO.

Johannes Hofele | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Sprecher des Arbeitskreises Mietrecht und WEG im BAV | www.breiholdt-legal.de
Exklusiv für Mitglieder | Heft 12/2022 | 71. Jahrgang

Sehr zu unserer Freude hatte ihm Herr Dr. Birger Dölling, Richter am 4. Zivilsenat des Kammergerichts, aus Sicht eines Richters direkt per E-Mail daraufhin geantwortet. Wir waren mit ihm so verblieben, dass wir seine E-Mail abdrucken, wobei auch wir betonen, dass das natürlich keine dienstlichen Äußerungen sind, sondern seine persönliche Auffassung:

Ihren Beitrag im Votum habe ich mit großem Vergnügen gelesen und kann Ihnen sagen, dass mir Ihre Feststellungen durchaus aus der Seele sprechen.
Um aber doch in den von Ihnen zu Recht angemahnten Dialog zu treten, einige kritische Gedanken zu Ihren drei Punkten, die zum einen hier und da um Verständnis werben möchten, zum anderen aufzeigen, warum die Richterschaft nicht in jeder Hinsicht die richtige Ansprechpartnerin für die angesprochenen Probleme ist (wobei sich von selbst versteht, dass die folgenden Ausführungen ausschließlich meine persönlich Auffassung wiedergeben):

1.

Hin und Her bei Terminsverlegungen ist ärgerlich, übrigens auch für den Richter, weil es eine stringente Terminplanung verkompliziert. Der „kurze Draht“ ist aber leider meist nicht der schnelle Draht, denn die Geschäftsstelle ist (entgegen einer bisweilen anzutreffenden Fehlvorstellung) nicht das Sekretariat des Richters. Alles, was mit der telefonischen Kontaktaufnahme an Misslichkeiten einhergeht, hat der Richter daher selbst zu schultern. Sie werden mir zugeben, dass es im Arbeitsalltag ungemein aufhält, wenn etwa wegen Mittagspause das anwaltliche Sekretariat nicht erreichbar oder der Anwalt, der seine Termine nach Auskunft des Büros in jedem Fall selbst abstimmen möchte, nicht am Platz und auch seine Rückkehr ungewiss ist. Zudem kann ich Ihnen versichern, dass mir die von Ihnen angesprochenen „Hemmungen“, zum Telefonhörer zu greifen, auch nicht fremd sind, denn es gibt durchaus anwaltliche Kollegen, die dem anrufenden Richter vermitteln, mit einer Lappalie wie Terminabstimmungen nicht belästigt werden zu wollen. Keine Frage, ich habe mit telefonischen Terminabsprachen auch schon gute Erfahrungen gemacht. Aber sie sind sicherlich nicht in jedem Fall das Mittel der (ersten) Wahl.

2.

Jeder Anwalt und natürlich in erster Linie jeder Mandant wünscht sich zu Recht, dass sein Fall möglichst zügig behandelt und terminiert wird. Und die meisten Richter sind sicherlich ehrlich bemüht, in erkennbar für die Parteien besonders bedeutsamen Angelegenheiten auch einen zeitnahen Termin zu ermöglichen. Allein, des einen Freud ist des anderen Leid. Es ist ja nicht damit getan, für eine womöglich als besonders wichtig empfundene Angelegenheit noch einen Termin „dazwischenzuschieben“, denn sorgfältig vorbereitet werden muss er auch, und dort liegt in der Regel das eigentliche Kapazitätsproblem – nicht in der Verfügbarkeit von Räumen und Terminszeiten. Da die eigene Angelegenheit naturgemäß immer bedeutsamer erscheint als die fremde, wird wohl keine Partei es verstehen, warum sie sich dann „hinten anstellen“ muss, während eine andere außer der Reihe nach vorne rücken darf. Zudem ist der Richter für die Einschätzung, welche Angelegenheit sich „objektiv“ als eilbedürftiger darstellt als eine andere, vielfach auf die anwaltlichen Darstellungen angewiesen, sodass auch die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass am Ende derjenige den Vorzug hat, der es versteht (und für adäquat hält), die verzweifelte Lage der eigenen Mandantschaft in besonders grelles Licht zu tauchen. So spricht doch einiges dafür, in aller Regel so zu verfahren, wie es wohl dem konsensfähigen Gerechtigkeitsempfinden am ehesten entspricht: Jeder kommt an die Reihe. Einer nach dem andern.

3.

Bei der Nutzung der Vorteile der modernen Technik sind die Gerichte vielleicht doch schon weiter, als es das von Ihnen gebrachte Beispiel nahelegt: Die Corona-Pandemie hat sich, zumindest an einigen Standorten, als wahrer Treiber für Videoverhandlungen erwiesen. In Bauverhandlungen kommt es vor, dass das Gericht die Erörterungen unter Beteiligung des Sachverständigen durch beamerprojizierte Zeichnungen, Fotos usw. unterstützt. Und als ich vor einigen Jahren begonnen habe, meine Terminsprotokolle mittels Spracherkennung zu diktieren, habe ich tatsächlich durchaus interessierte bis ungläubige Blicke von Anwaltskollegen geerntet, die mir zum Teil von den Widerständen berichteten, auf die sie in ihren Büros bei dem Versuch gestoßen seien, ebenfalls diese Technik einzuführen. Zugleich ist klar: Ohne zweckmäßige technische Ausstattung und nutzerfreundlichen Support bleibt ein solches Vorgehen vom guten Willen und Engagement einzelner Kollegen und deren Bereitschaft abhängig, einen teilweise deutlich erhöhten Arbeitsaufwand in Kauf zu nehmen. Und in dieser Frage hat die Richterschaft weniger Gestaltungsspielraum als der selbständig tätige Anwalt. Eher schon ist die Politik zu fordern, wenn es um eine angemessene sachliche und personelle Ausstattung der Gerichte, auch mit Blick auf die Vorteile der Digitalisierung, geht. Denn die von Ihnen geforderte Dienstleistungsorientierung ist nicht zum Nulltarif zu haben, und ohne vernünftige Ausstattung und personelle Absicherung bedeutet Effizienzgewinn für den Anwalt in der Regel schlicht Mehrarbeit für den Richter.

Anmerkung des Autors: Ich bin Herrn Dr. Dölling sehr dankbar, weil diese Ausführungen mir doch einige neue Gesichtspunkte aufzeigen. Dieser kleine Austausch zeigt, wie wichtig die Kommunikation auf allen Ebenen ist, um die Standpunkte der „Gegenseite“ kennenzulernen. Das führt nämlich dazu, dass man nicht nur Positionen austauscht (oder – fast schlimmer noch – still vor sich hin schmollt), sondern die Interessen der anderen Seite erfährt, diese wahrnehmen kann und das dann zu Lösungen führt. Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen ermuntern, Austausch mit der Richterschaft zu pflegen – diese zeigt sich sehr offen und manche Probleme haben wir schlicht gemeinsam.