Richterin, Politikerin und Rechtsanwältin

Vorbild mit großen Fußspuren.

Am 2. September 2023 verstarb Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit im 91. Lebensjahr in Berlin. Fünf Tage vor ihrem Tod nahm sie an einer Feier unserer Kanzlei teil. Sie unterhielt sich mit den Kolleginnen, Kollegen und den Mitarbeiterinnen und ließ sich mit ihnen fotografieren bzw. diese mit ihr. Ein Foto mit der Ikone des deutschen Familienrechts und mit dieser noch mit 90 Jahren praktizierenden Anwältin ließ sich keiner entgehen – nicht ahnend, dass es so schnell keine Gelegenheit mehr geben würde.

Frau Dr. Peschel-Gutzeit, Foto: Joachim Loch, www.loch-fotografie.de

Dr. Peschel-Gutzeit hat schon als Richterin in Hamburg mit großem Erfolg an der Reformation der Gesetze zum Wohle von Frauen und Kindern gewirkt. Im Jahre 1968 trat das als „Lex Peschel” bekannte Gesetz in Kraft, das Richterinnen und Beamtinnen die Teilzeitarbeit und den Familienurlaub ermöglichte. Dieses Gesetz hat Dr. Peschel-Gutzeit als quasi alleinerziehende Mutter von drei Kindern erstritten.

Auf eigenen Wunsch ließ sie sich 1968 in die Pressekammer des Landgerichts Hamburg versetzen, weil sie die dort zur Verhandlung anstehenden gesellschaftspolitischen Themen besonders interessierten. Schon 1956 war sie als Referendarin dem Deutschen Juristinnenbund beigetreten und dort von 1977 bis 1981 Vorsitzende. Sie gründete im djb die Kommission Beamtenrecht und arbeitete in den Kommissionen Steuerrecht, Familienrecht und Jugendhilferecht.

In den 1970er-Jahren gründete sie neben ihrer Arbeit als Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht mit anderen die Liga für das Kind und trat dem Kinderschutzbund bei. 1984 wurde sie erste weibliche Vorsitzende eines Senats des Hanseatischen Oberlandesgerichts für Familiensachen, verließ aber die Justiz 1991 und wurde Justizsenatorin im Kabinett von Henning Voscherau. Von 1994 bis 1997 wurde sie Justizsenatorin in Berlin im Kabinett von Eberhard Diepgen als Regierendem Bürgermeister und noch einmal in Hamburg bei Ortwin Runde als Erstem Bürgermeister.

1992 wurde unter der Leitung von Hans-Jochen Vogel die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat eingesetzt, die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland infolge der Wiedervereinigung überarbeiten sollte. Dr. Peschel-Gutzeit sowie der Justizsenatorin Jutta Limbach und den Justizministerinnen Heidi Merk (Niedersachsen) und Christine Hohmann- Dennhard (Hessen) wurde die Überarbeitung von Art. 3 Absatz 2 GG zugeteilt. Diese ergänzten den ursprünglichen Wortlaut: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.” um einen Satz 2: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

„Ihr Credo war: Frauen müssen sich vernetzen, um Erfolg zu haben“

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit war mir in gut 35 Jahren vielfach gemeinsamer Tätigkeit nicht nur das ständige Vorbild, sondern auch stets eine gute Freundin. Es ehrt mich, ihre besonderen Verdienste um das Recht, um die Kinder, um die Frauen und um die Gerechtigkeit würdigen zu dürfen. Frau Dr. Peschel-Gutzeit war nicht nur eine unermüdliche Einzelkämpferin für andere, sondern hatte sich auch zum Ziel gesetzt, anderen Frauen die Wege in Karrieren zu ermöglichen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Von Anbeginn unserer Freundschaft verschaffte sie mir wie auch vielen anderen in der Öffentlichkeit bekannten Frauen die erforderlichen Mehrheiten für erstrebte Ziele, selbst wenn sie thematisch anderer Meinung war. Ihr Credo war: Frauen müssen sich vernetzen, um Erfolg zu haben.

1987 trafen wir uns das erste Mal als Richterinnen, gewissermaßen Abgeordnete unserer Länder Hamburg und NRW in Bonn, um für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe zu kämpfen, frustriert am Rande des Deutschen Bundestages, weil die Tagesordnung die „Frauenthemen“ wieder an das Ende der Debatte terminiert hatte und natürlich alle Bänke geleert waren. Dr. Peschel-Gutzeit, zehn Lebensjahre und viele gefühlte Berufsjahre älter als ich, gab mir damals Tipps, wie man sich als Frau in der Öffentlichkeit Gehör verschafft, auch wenn die zur Entscheidung berufene Öffentlichkeit fast ausschließlich aus Männern bestand. Das dieses heute nicht immer selbstverständlich sein muss, haben wir Frauen wie Dr. Peschel-Gutzeit zu verdanken, die Zeit ihres Lebens nicht aufhörte, sich für die Gleichwertigkeit und die Gleichstellung von Frauen mit ihrer Kraft, ihrer Zeit und all ihrer Energie einzusetzen.

Karin Schubert | Rechtsanwältin | selbständig | Rechtsanwälte und Notare Kärgel de Maiziere & Partner
Exklusiv für Mitglieder | Heft 11/2023 | 72. Jahrgang