Schweigepflicht und Social Media

Was darf gepostet werden, was nicht

I. EINLEITUNG

Soziale Medien werden heutzutage nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch zur Information über Waren und Dienstleistungen genutzt. Demnach ist es nur konsequent, dass sich auch die Anwaltschaft vermehrt in den sozialen Medien präsentiert, um potenzielle Mandanten zu erreichen. Und so finden sich zahlreiche Anwältinnen, Anwälte und Kanzleien auf LinkedIn, Instagram, Tiktok, YouTube, Facebook und X (vormals Twitter). Die dargebotenen Inhalte und die Art der Präsentation variieren stark, dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit: Weil sich in den sozialen Medien Werbung und Unterhaltung vermischen, reicht die bloße Präsentation der angebotenen Rechtsdienstleistungen nicht mehr aus, weshalb zur Auflockerung oftmals Einblicke in den beruflichen Alltag gewährt und Anekdoten aus bearbeiteten Fällen berichtet werden. Aufgrund des aktuellen True-Crime-Hypes betrifft letzteres insbesondere die Strafverteidigung.

Raoul Beth | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht | vorwiegend im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht tätig | ehrenamtlicher Richter am Anwaltsgericht Berlin | www.kanzlei-beth.de

Die Namen der Mandanten werden selbstverständlich nicht genannt, dennoch bietet dieses neue Phänomen Anlass dazu, sich einmal näher mit den Grenzen der Schweigepflicht (im Folgenden nur: „SP“) zu befassen. Denn die Rechtslage ist nicht so eindeutig, wie oftmals angenommen wird, und im schlimmsten Fall drohen straf- und berufsrechtliche Konsequenzen.

Zum besseren Verständnis ein Beispielsfall: Rechtsanwalt A filmt sich vor dem AG einer Kleinstadt. Er berichtet, dass er gerade für einen Mandanten in der HV eine Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO gegen eine geringe Geldauflage erreicht habe. Dem Mandanten sei vorgeworfen worden, an Silvester mit einer Schreckschusswaffe in die Luft geschossen zu haben. Der Mandant habe sich in der HV für die vorgeworfene Tat entschuldigt und angegeben, er sei an dem Tag aufgrund der Trennung von seiner Freundin betrunken gewesen. Der Mandant sei mit der Einstellung insbesondere deswegen gut weggekommen, weil die Polizei bei der Sicherstellung der Waffe eine kleinere Menge Kokain übersehen habe. Dieses Video veröffentlicht der Rechtsanwalt auf seinem Instagram-Account. Während der HV waren keine Zuschauer anwesend.

Abwandlung: Während der HV waren Zuschauer anwesend und über die Verhandlung wird im Onlineangebot einer Regionalzeitung berichtet.

II. WAS UNTERLIEGT DER ANWALTLICHEN SCHWEIGEPFLICHT?

Maßgebliche Normen hierfür sind § 203 StGB und § 43a Abs. 2 BRAO. § 203 StGB knüpft an Geheimnisse an, die in der Funktion als Rechtsanwalt anvertraut oder bekanntgeworden sind. Ein Geheimnis ist eine Tatsache, die nur einem Einzelnen oder einem beschränkten Kreis von Personen bekannt oder zugänglich ist, an deren Geheimhaltung der Betroffene ein berechtigtes Interesse hat und die nach seinem Willen geheim gehalten werden soll.1Vgl. OLG Frankfurt v. 11.1.2005 – 3 Ws 1003/04, NStZ-RR 2005, 235; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 203 Rn. 6 ff.; jeweils m.w.N. § 43a Abs. 2 Satz 2 BRAO bezieht sich auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs bekanntgeworden ist. Jedoch nimmt Satz 3 solche Tatsachen aus, die offenkundig sind oder die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Im Ergebnis sind die strafund die berufsrechtliche SP daher identisch.2So auch Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 43a Rn. 45 m.w.N.

Die SP umfasst zunächst alle Informationen, die eine Anwältin im Rahmen der Mandatsausübung erfährt. Darüber hinaus wird aber auch schon die bloße Kontaktaufnahme und auch das Mandatsverhältnis an sich geschützt, also die Tatsache, dass eine bestimmte Person mit einem bestimmten Anwalt in Kontakt steht.

„Umstritten ist die Behandlung von Tatsachen, die in einer öffentlichen HV erörtert worden sind“

Umstritten ist die Behandlung von Tatsachen, die in einer öffentlichen HV erörtert worden sind: In der strafrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, dass Tatsachen nicht mehr geheim sind, wenn sie in einer HV erörtert worden sind, unabhängig davon, ob Zuschauer anwesend waren oder nicht.3Vgl. OLG Köln v. 3.7.2000 – Ss 254/00, NJW 2000, 3656; Fischer, a.a.O., § 203 Rn. 8; LK-StGB/Hilgendorf, Bd. 10, 13. Aufl. 2022, § 203 Rn. 41; jeweils m.w.N. Berufsrechtlich wird demgegenüber mit der Offen- bzw. Allgemeinkundigkeit nach § 291 ZPO, § 244 Abs. 3 Nr. 1 StPO argumentiert. Offen- bzw. allgemeinkundig sind Tatsachen, von denen regelmäßig jeder verständige Mensch Kenntnis hat oder über die er sich aus zuverlässigen und erreichbaren Quellen ohne besondere Fachkunde unterrichten kann.4Vgl. KK-StPO/Krehl, 9. Aufl. 2022, § 244 Rn. 14; MüKo-ZPO/Prütting, Band 1, 6. Aufl. 2020, § 291 Rn. 5; jeweils m.w.N.

Nach der strafrechtlichen Ansicht dürfte ein Anwalt nach einer öffentlichen HV ohne Zuschauer den Namen seiner Mandantin und den Schuldspruch online verbreiten, ohne dass dies die SP verletzen würde. Dass dies mit Sinn und Zweck der SP nicht zu vereinbaren ist, bedarf keiner näheren Begründung. Demgegenüber führt die berufsrechtliche Ansicht zu sachgerechten Ergebnissen: Auch wenn Zuschauer anwesend sind, unterliegen die Ereignisse der HV weiterhin der SP. Erst ab dem Zeitpunkt, wo über eine HV in der Presse berichtet wird und sich somit jedermann darüber informieren kann, unterliegen die Ereignisse der HV im Umfang der Berichterstattung nicht mehr der SP.

III. WANN LIEGT EIN VERSTOSS GEGEN DIE SCHWEIGEPFLICHT VOR?

Die Verletzung der SP setzt ein unbefugtes Offenbaren voraus. Ein Offenbaren liegt vor, wenn dem Empfänger einer Erklärung ein Wissen vermittelt wird, von dem er noch keine (sichere) Kenntnis hatte.5MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, Bd. 4, 4. Aufl. 2021, § 203 Rn. 54 m.w.N. Das ist der Fall, wenn der Empfänger ein Geheimnis einem bestimmten Mandanten zuordnen kann. Hierfür genügt es, wenn der Mandant durch die Begleitumstände der Mitteilung oder aufgrund von Vorkenntnissen des Empfängers identifiziert werden kann.6Vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 203 Rn. 33; NK-StGB/Kargl, 6. Aufl. 2023, § 203 Rn. 36; SK-StGB/Hoyer, Bd. 6, 9. Aufl. 2017, § 203 Rn. 31; jeweils m.w.N.

„Maßstab ist nicht, dass der Empfänger die Information sinnvoll nutzen kann, es reicht aus, dass er eine ihm bislang unbekannte Information erlangt und diese dem Mandanten zuordnen kann“

Hier liegt das Risiko der Nutzung der sozialen Medien: Ein Beitrag kann mehrere tausend Personen erreichen, ohne dass die veröffentlichende Anwältin weiß oder kontrollieren kann, über welche Vorkenntnisse oder sonstigen Informationen die Empfänger verfügen. So werden die anwaltlichen Accounts beispielsweise auch in der Justiz wahrgenommen, und gerade bei kleineren Gerichten lassen sich Beiträge wie der oben beschriebene leicht konkreten Personen zuordnen. Aber auch ein Beitrag über einen skurrilen Nachbarschaftsstreit kann Zuschauer erreichen, die den Sachverhalt einer konkreten Person zuordnen können. Maßstab ist nicht, dass der Empfänger die Information sinnvoll nutzen kann, es reicht aus, dass er eine ihm bislang unbekannte Information erlangt und diese dem Mandanten zuordnen kann.

Ein Verstoß liegt nur dann vor, wenn das Offenbaren unbefugt erfolgt. Bei der Nutzung der sozialen Medien kann sich die Befugnis allein aus der (konkludenten) Einwilligung der Mandantin ergeben. Die Einwilligung muss sich auf bestimmte Tatsachen und konkrete Übermittlungsvorgänge beziehen, vor dem Offenbaren vorliegen und auf einer fehlerfreien Willensbildung beruhen.7LK-StGB/Hilgendorf, a.a.O., § 203 Rn. 151 f. m.w.N. Rechtssicherheit besteht daher nur, wenn die Mandantin über den beabsichtigten Post und die weiteren Umstände (Plattform, Reichweite des Accounts etc.) aufgeklärt wurde und insoweit ihre Einwilligung erklärt hat.8Ein Sonderproblem ist die Einwilligung bei sogenannten Drittgeheimnissen, also Geheimnissen von sonstigen Verfahrensbeteiligten, von denen der Anwalt im Verfahren Kenntnis erlangt hat, vgl. hierzu OLG Köln, a.a.O.; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, a.a.O., § 203 Rn. 86 ff. m.w.N. Zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten empfiehlt es sich, die Einwilligung zumindest in Textform zu dokumentieren.

§ 203 StGB setzt Vorsatz voraus, für die berufsrechtliche Ahndung reicht bereits Fahrlässigkeit aus (vgl. § 113 BRAO). Aufgrund der unkontrollierten Verbreitung der Beiträge wird man hier oftmals einen bedingten Vorsatz annehmen können.

IV. ZUSAMMENFASSUNG

Für den obigen Beispielfall gilt daher Folgendes: Die Inhalte der HV unterliegen der SP, soweit sie sich nicht aus der Presseberichterstattung ergeben. Ein Offenbaren liegt vor, wenn die Empfänger des Beitrags diese Informationen noch nicht kannten und sie dem Mandanten zuordnen können. Beispielsweise kann der in der HV anwesende Staatsanwalt die Information dem Mandanten zuordnen, kannte sie aber bereits zuvor aus der HV, so dass insoweit kein Verstoß vorliegt. Bezüglich des Kokains würde aber ein Verstoß vorliegen, weil der Staatsanwalt diese Information noch nicht kannte, sie aber aufgrund der übrigen Informationen zuordnen kann. Entscheidend für den Verstoß ist daher stets, welche Vorkenntnisse der Empfänger hat.

Bereits dieser kurze Abriss zeigt, dass Social-Media- Beiträge über Mandate nicht ohne Risiken sind und hier nicht unüberlegt „losgeplaudert“ werden sollte. Das strafrechtliche Risiko minimiert sich ein wenig, weil § 203 StGB zwingend einen Strafantrag des Mandanten voraussetzt. Demgegenüber sind Berufsrechtsverstöße „Offizialdelikte“ und können von Kammer und Generalstaatsanwaltschaft bei Kenntniserlangung auch ohne Antrag geahndet werden.9Weyland/Reelsen, BRAO, 11. Aufl. 2024, § 116 Rn. 168.Wenn es nicht bereits der berufliche Anstand gebietet, sollte doch zumindest aus diesem Grund stets die Einwilligung des Mandanten vor Veröffentlichung eines Beitrags eingeholt werden.

Heft 04 | 2024 | 73. Jahrgang

  • 1
    Vgl. OLG Frankfurt v. 11.1.2005 – 3 Ws 1003/04, NStZ-RR 2005, 235; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 203 Rn. 6 ff.; jeweils m.w.N.
  • 2
    So auch Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl. 2019, § 43a Rn. 45 m.w.N.
  • 3
    Vgl. OLG Köln v. 3.7.2000 – Ss 254/00, NJW 2000, 3656; Fischer, a.a.O., § 203 Rn. 8; LK-StGB/Hilgendorf, Bd. 10, 13. Aufl. 2022, § 203 Rn. 41; jeweils m.w.N.
  • 4
    Vgl. KK-StPO/Krehl, 9. Aufl. 2022, § 244 Rn. 14; MüKo-ZPO/Prütting, Band 1, 6. Aufl. 2020, § 291 Rn. 5; jeweils m.w.N.
  • 5
    MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, Bd. 4, 4. Aufl. 2021, § 203 Rn. 54 m.w.N.
  • 6
    Vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 203 Rn. 33; NK-StGB/Kargl, 6. Aufl. 2023, § 203 Rn. 36; SK-StGB/Hoyer, Bd. 6, 9. Aufl. 2017, § 203 Rn. 31; jeweils m.w.N.
  • 7
    LK-StGB/Hilgendorf, a.a.O., § 203 Rn. 151 f. m.w.N.
  • 8
    Ein Sonderproblem ist die Einwilligung bei sogenannten Drittgeheimnissen, also Geheimnissen von sonstigen Verfahrensbeteiligten, von denen der Anwalt im Verfahren Kenntnis erlangt hat, vgl. hierzu OLG Köln, a.a.O.; MüKo-StGB/Cierniak/Niehaus, a.a.O., § 203 Rn. 86 ff. m.w.N.
  • 9
    Weyland/Reelsen, BRAO, 11. Aufl. 2024, § 116 Rn. 168.