Sicherheit in der Berliner Justiz
Zur Umsetzung des Rahmenkonzepts in Gerichten und Behörden.
VORBEMERKUNG
Der entsetzliche Vorfall, bei dem 2012 ein Angeklagter im Amtsgericht Dachau einen Staatsanwalt erschoss, war für viele Landesjustizverwaltungen Anlass, sich verstärkt mit dem Thema Sicherheit in der Justiz zu beschäftigen. In Berlin wurde schließlich Anfang 2017 beschlossen, das Thema nicht mehr nur punktuell und auf die Strafjustiz bezogen anzugehen, sondern in einem umfassenden Sicherheitsrahmenkonzept sämtliche sicherheitsrelevanten Aspekte für alle Bereiche der Justiz zu beleuchten, den Gerichts- und Behördenleitungen (der Staatsanwaltschaften) Informationen und Empfehlungen an die Hand zu geben und vor allem Mindeststandards zu definieren, die zwingend überall zu gelten haben. Die Notwendigkeit schien gegeben, da sich zwar zu diesem Zeitpunkt schon lange keine schwereren sicherheitsrelevanten Vorfälle mehr in Berlin ereignet hatten, jedoch stichpunktartige Einlasskontrollen selbst an den zivilen Amtsgerichten zu erheblichen Waffenfunden geführt hatten (z.B. 20–25 Waffenfunde täglich im Amtsgericht Spandau, das eines der kleinsten Amtsgerichte in Berlin ist). Hinzu kam eine zumindest gefühlte Verschlechterung der Sicherheitslage, die von den Justizwachtmeisterinnen und -meistern wahrgenommen wurde und sich in einer allgemein erhöhten verbalen Aggressivität ihnen gegenüber äußerte. Zudem erstarkte bereits zu dieser Zeit die so genannte „Reichsbürgerbewegung“, die immer wieder ein von Skrupellosigkeit geprägtes hohes Gewalt- und Konfliktpotenzial im Hinblick auf staatliche Organe bewiesen hat.
Dr. Frank Michael Heller | Oberstaatsanwalt | Staatsanwaltschaft Berlin
DAS PROJEKT „SICHERHEITSRAHMENKONZEPT FÜR DIE BERLINER JUSTIZ“
Da klar war, dass für ein Sicherheitsrahmenkonzept, das Gültigkeit für alle Bereiche der Justiz haben soll, auch entsprechendes Fachwissen notwendig ist, wurde durch die Landesjustizverwaltung Berlins ein breit aufgestelltes Projekt zur Erarbeitung des Sicherheitsrahmenkonzepts aufgelegt.
An dem Projekt wirkten in sieben Arbeitsgruppen über 40 Mitarbeitende aus allen Bereichen und allen Diensten der Berliner Justiz mit.
Auf den Projektauftakt Anfang Juli 2017 folgte eine bis Mitte Oktober 2017 dauernde Planungsphase. In dieser wurden die bereits vorhandenen Sicherheitskonzepte der anderen Bundesländer ausgewertet sowie weitere Themenbereiche identifiziert, die in das Sicherheitsrahmenkonzept mit aufgenommen werden sollten. Die eigentliche Arbeitsphase dauerte von Mitte Oktober 2017 bis Anfang Februar 2018. In dieser wurden auch externe Experten beteiligt, insbesondere zu nennen sind das Landeskriminalamt Berlin und die Berliner Feuerwehr. Die Arbeit des Projektteams wurde jeweils durch die Abstimminstanz zugleich kritisch wie konstruktiv begleitet, die mit den Leitungen ausgewählter Gerichte und Behörden sowie den Personalvertretungsgremien besetzt war. Die inhaltliche Verantwortung übernahm der Lenkungsausschuss des Projekts, geleitet von der damaligen Staatssekretärin für Justiz. Projektauftraggeber war der damalige Justizsenator.
Das Sicherheitsrahmenkonzept wurde schließlich im Oktober 2018 durch den Justizsenator erlassen. Den einzelnen Gerichts- und Behördenleitungen wurde sodann aufgegeben, jeweils auf das eigene Gericht bzw. die eigene Behörde zugeschnittene örtliche Sicherheitskonzepte zu erstellen, welche die Mindeststandards des Sicherheitsrahmenkonzepts umsetzen und im Bedarfsfall auch über diese hinausgehen können.
BAUSTEINE DER SICHERHEIT IN DER JUSTIZ
Als relevante Bausteine für Sicherheit in der Justiz wurden die technischen bzw. baulichen Themen „Bauliche Sicherung“, „Kontrollen“ und „Alarmsysteme und Notfallpläne“ erkannt. Darüber hinaus beschäftigt sich das Sicherheitsrahmenkonzept auch mit der Ertüchtigung des Justizwachtmeisterdienstes, mit dem Gerichtsvollzieherdienst, geht auf Fortbildungsbedarfe und -angebote ein und bietet als Hilfestellung für die auf dem Sicherheitsrahmenkonzept fußenden gerichts- und behördenspezifischen Sicherheitskonzepte Muster, Merkblätter und Handreichungen an.
„Als relevante Bausteine für Sicherheit in der Justiz wurden die technischen bzw. baulichen Themen „Bauliche Sicherung“, „Kontrollen“ und „Alarmsysteme und Notfallpläne“ erkannt. Darüber hinaus beschäftigt sich das Sicherheitsrahmenkonzept auch mit der Ertüchtigung des Justizwachtmeisterdienstes und mit dem Gerichtsvollzieherdienst“
Im Folgenden wird ein Überblick über die wesentlichen Erkenntnisse und Empfehlungen zu den einzelnen Themenbereichen gegeben, wobei die vorgeschriebenen Mindeststandards besonders hervorgehoben werden. Anzumerken ist, dass die Mindeststandards für die einzelnen Gerichte und Staatsanwaltschaften als zwingend zu erreichendes Ziel zu begreifen sind, aber natürlich nicht überall gleich unmittelbar nach Erlass des Sicherheitsrahmenkonzepts umgesetzt werden konnten.
BAULICHE SICHERHEIT UND KONTROLLSTELLEN
Das Sicherheitsrahmenkonzept beschreibt einen Idealzustand, der baulich bedingt nicht an allen Standorten erreicht werden kann. Die folgenden Empfehlungen gelten daher dort, wo eine Umsetzung möglich ist. Erreicht werden müssen zwingend nur die Mindeststandards, die gewisse Flexibilitäten vorsehen, wo eine bauliche Umsetzung schwierig wäre. Die Mindeststandards für alle Dienstgebäude stellen sich in baulicher Hinsicht wie folgt dar: Jede Liegenschaft benötigt eine Alarmzentrale, zumindest aber eine zentrale Stelle, an der Alarme auflaufen. Im Bereich des Haupteingangs muss sich eine Schleuse, Kontrollstrecke, Kontrollstelle oder Pforte befinden. Während die Einrichtung einer Sicherheitsschleuse und das Aufstellen eines Gepäckdurchleuchtungsgeräts lediglich empfohlen wird, gehören zum Mindeststandard im Eingangsbereich eine Personenvereinzelungsanlage, eine Torsonde, eine Verwahrmöglichkeit für einbehaltene Gegenstände, eine sichtgeschützte Kontrollkabine oder dergleichen und getrennte Ein- und Ausgänge. An allen Toren und Zugangstüren ins Gebäude sind Schließzylinder mit einem Bohr- und Ziehschutz zu verwenden. Zugangstüren sind durchschusssicher auszuführen, Zugangstüren mit einer Mehrfachverriegelung und Aushebesicherung nachzurüsten. Licht- und Luftschächte müssen gegen Eindringen von außen gesichert sein. Briefkastenanlagen müssen – wo baulich möglich – als freistehende Variante ausgeführt werden, so dass die Gebäudehülle nicht geöffnet werden muss und potenziell unsichere Gegenstände nicht über den Briefkasten in das Gebäude gelangen können. Bei Neubauten gehört zum Mindeststandard zudem, dass reine Bürobereiche von Publikumsbereichen getrennt gehalten werden, beispielsweise durch Zutrittskontrolltüren, die, wo baulich möglich, auch nachgerüstet werden sollen. In baulicher Hinsicht gehört zum Mindeststandard schließlich noch, dass in allen Sitzungssälen Alarmierungsvorrichtungen vorhanden sind. Empfohlen wird außerdem eine Außensicherung der Dienstgebäude, möglichst durch eine Umzäunung in Höhe von 2,50 Metern. Fenster im Erdgeschoss sollten einbruchhemmend, im ersten Obergeschoss durchwurfhemmend gestaltet sein. Regenfallrohre und Blitzableiter sollten mit Kletterschutz ausgestattet werden. Empfohlen wird auch die Einrichtung einer Außenbeleuchtung. Überlegenswert ist auch die Anbringung einer Videoüberwachung außen am Gebäude. Neben Brandmeldeanlagen empfehlen sich auch Einbruchmeldeanlagen. An einzelnen Türen könnten sich Gegensprechanlagen mit Türöffner anbieten. Nebeneingänge sollten für die Öffentlichkeit verschlossen werden. Es empfiehlt sich außerdem, in Sitzungssälen Mobiliar am Boden zu verankern oder zu befestigen, damit es nicht als Wurfgeschoss verwendet werden kann. Das Sicherheitsrahmenkonzept bietet außerdem Empfehlungen für die bauliche Neugestaltung von Asservatenräumen, Zahlstellen, Grundbuchämtern, Rechtsantragsstellen, Beratungshilfestellen, Infostellen und Vorführzellen. Vorgeschlagen wird die Einrichtung eines gesonderten Raums für Akteneinsichten. Technikräume sollten besonders gesichert sein. Es sollte, wo möglich, separate Ein- und Ausgänge für Personen mit Hausausweisen zur Verminderung des Kontrollaufkommens geben. Empfohlen wird schließlich noch die Anschaffung einer Postdurchleuchtungsanlage.
DURCHFÜHRUNG VON EINLASSKONTROLLEN
Es sind als Mindeststandard bei allen Gerichten und Staatsanwaltschaften während der Öffnungszeiten durchgängig Einlasskontrollen durchzuführen. In allen Häusern muss eine Kontrollordnung erstellt werden. In der gesamten Justiz sollen einheitlich und fälschungssicher gestaltete Hausausweise zum Einsatz kommen.
ALARMSYSTEME UND NOTFALLPLÄNE
In jedem Dienstgebäude muss als Mindeststandard ein Alarmsystem mit Alarmton und Sprachdurchsagemöglichkeit vorhanden sein, mit Lautsprechern auf den Fluren oder optional auch in den Dienstzimmern. Die Sprachdurchsagemöglichkeit ist wichtig, da diese den Alarm „erklären“ und zusätzliche Hinweise geben kann: Beispielsweise wäre es fatal, wenn bei einem Amokalarm alle Mitarbeitenden sich in der Annahme, das Gebäude sei zu verlassen, auf die Flure begeben und so dem Amokläufer in die Arme laufen würden; hier ist ein Einschließen in den Dienstzimmern klar vorzugswürdig. Die Mitarbeitenden müssen sich dann auch nicht merken, welches unterschiedliche Alarmsignal welche Bedeutung hat, sondern bekommen eine mündliche klare Erläuterung, und es ist mit einem einzigen Alarmsignal auszukommen. Im Brandfall könnten hierbei auch Hinweise zum Ort des Brandes im Gebäude gegeben werden und welche Treppenhäuser z.B. wegen Verrauchung nicht benutzt werden können. Zusätzlich zu der akustischen Alarmierung ist auch eine optische Alarmierung wünschenswert. Als Mindeststandard muss ferner für die Mitarbeitenden die Möglichkeit bestehen, einen Alarm „still“ auszulösen.
JUSTIZWACHTMEISTERDIENST
Im Justizwachtmeisterdienst ist durch das Sicherheitsrahmenkonzept insbesondere ein Mindeststandard für die Grundausstattung für den Einsatz bei sicherheitsrelevanten Aufgaben festgeschrieben worden. Hierzu gehören unter anderem Einsatzhandschuhe, Einsatzstock, Pfefferspray, Schutzweste und Funkgerät. Die Ausgabe von Einsatzstock und Pfefferspray kann allerdings von den Gerichts- und Behördenleitungen näher definiert werden, und auch das Tragen der Schutzwesten kann individuell geregelt werden, wobei es bei der Durchführung von Einlasskontrollen verpflichtend ist. Der Justizwachtmeisterdienst muss in der Verwendung der Einsatzmittel außerdem entsprechend regelmäßig geschult und fortgebildet werden. Über den Mindeststandard kann in Gerichten, die einen erhöhten Sicherheitsstandard benötigen, natürlich hinausgegangen werden.
GERICHTSVOLLZIEHERDIENST
Das Sicherheitsrahmenkonzept beschäftigt sich in Bezug auf den Gerichtsvollzieherdienst mit der Frage, ob Handschuhe erforderlich sind, Schutzwesten, Bodycams oder elektronische Alarmgeber. Empfohlen werden hiervon letztlich aber nur Handschuhe. Angezeigt ist außerdem eine stärkere Ausbildung in Bezug auf sicherheitsrelevante Eigenkenntnisse, etwa den Umgang mit schwierigem Publikum und „Reichsbürgern“, in Eigensicherung und waffenloser Selbstverteidigung.
FORTBILDUNGEN
Vergleichbare Fortbildungen sind auch insgesamt für das Personal in der Justiz vorgesehen und werden regelmäßig angeboten.
MUSTER, MERKBLÄTTER UND HANDREICHUNGEN
Das Sicherheitsrahmenkonzept bietet den Gerichts- und Behördenleitungen für die Erstellung der jeweiligen vor Ort geltenden Sicherheitskonzepte zu allen denkbaren Gesichtspunkten Muster, Merkblätter und Handreichungen an. Es finden sich hier beispielsweise eine Muster-Kontrollordnung, ein Muster-Notfallplan, eine Muster-Hausordnung, Checklisten für Alarmfälle, Merkblätter für Geiselnahmen, zum Umgang mit verdächtigen Gegenständen, aber auch Hinweise zur räumlichen und technischen Ausgestaltung von Sitzungssälen und Vorführzellen.
VERSTETIGUNG DES THEMAS SICHERHEIT IN DER BERLINER JUSTIZ
Nachfolgend wurden auf Basis des Sicherheitskonzepts in verschiedenen Häusern teils umfangreiche bauliche und technische Umgestaltungen vorgenommen. Damit das Thema Sicherheit vor Ort in den einzelnen Gerichten und Staatsanwaltschaften stets im Blick bleibt, sieht das Sicherheitsrahmenkonzept vor, dass in allen Häusern Sicherungsbeauftragte bestellt werden, die sich unter anderem um die Anlage und Aktualisierung einer Objektschutzakte kümmern und regelmäßige Übungen und Probealarme durchführen. Für diese sind bestimmte Intervalle vorgeschrieben. Im Intranet der Justiz in Berlin ist ein Meldeportal eingerichtet worden, zu dem nur ausgewählte Mitarbeitende der Gerichte und Staatsanwaltschaften Zugriff haben und in dem in einer bestimmten Eingabemaske alle denkbaren Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen einzugeben sind (ohne personenbezogene Daten). Diese dienen sowohl statistischen Zwecken als auch als Grundlage für eine Reaktion auf eine sich justizweit verändernde Sicherheitslage.
„Die Erkenntnisse aus dem Meldewesen fließen in den durch die Justizverwaltung in regelmäßigen Abständen zu erstellenden Sicherheitsbericht ein, der die aktuelle Gefährdungslage darstellt und einen Überblick über den Umsetzungsstand des Sicherheitsrahmenkonzepts in den einzelnen Standorten aufzeigt“
Die Erkenntnisse aus diesem Meldewesen fließen in den durch die Justizverwaltung in regelmäßigen Abständen zu erstellenden Sicherheitsbericht ein, der die aktuelle Gefährdungslage darstellt und einen Überblick über den Umsetzungsstand des Sicherheitsrahmenkonzepts in den einzelnen Standorten aufzeigt. Controlling findet sodann dadurch statt, dass sich in regelmäßigen Treffen ein Lenkungskreis konstituiert, dem ranghohe Vertreterinnen und Vertreter der Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie die Personalvertretungsgremien angehören und der auf Grundlage des das Treffen vorbereitenden Sicherheitsberichts Einfluss auf Bereiche nehmen soll, in denen die Umsetzung des Sicherheitsrahmenkonzepts noch nicht weit genug fortgeschritten ist.
SCHLUSSBEMERKUNG
Das Thema „Sicherheit in der Berliner Justiz“ ist damit eines, das ständig beobachtet wird, in dem an einer Verbesserung des Ist-Zustandes gearbeitet wird und das aktiv fortgeschrieben wird. In der gelebten Praxis stoßen so manche Umsetzungsvorhaben jedoch nicht nur auf praktische Hindernisse, etwa weil die denkmalgeschützten altehrwürdigen Dienstgebäude z.B. den Einbau einer modernen Schleusenanlage baulich nicht erlauben, sondern sehen sich auch mit der oft schwierigen Frage der Finanzierung der geplanten Vorhaben konfrontiert, die sich immer wieder als Herausforderung darstellt.