Themen des Arbeitsgerichts

Interview mit Bärbel Klumpp, Präsidentin des Arbeitsgerichts Berlin.

Frau Bärbel Klumpp ist seit 2013 Präsidentin des Arbeitsgerichts Berlin. Mit 49 Kammern und 41 Berufsrichterinnen und -richtern ist das Arbeitsgericht Berlin das größte Arbeitsgericht Deutschlands. Wer Frau Klumpp schon einmal begegnet ist, hat sicherlich ihre positive, aufgeschlossene und stets professionelle Art im Gedächtnis behalten. Es ist bekannt, dass Präsidentinnen und Präsidenten der jeweiligen Gerichte sehr viel Arbeit zu bewältigen haben, da sie ja auch weiterhin und sozusagen „nebenher“ ein Dezernat innehalten. Umso mehr danken wir Frau Klumpp, dass sie sofort zugesagt hat, als ich sie um ein Interview für das Berliner Anwaltsblatt gebeten habe.

Claudia Frank | Rechtsanwältin | Fachanwältin für Arbeits- und Steuerrecht | Im Vorstand des BAV | Probandt PartGmbB

Bärbel Klumpp
Bild: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Frau Klumpp, bitte schildern Sie uns kurz die Stationen in Ihrem Leben und geben uns einen kleinen Einblick, wie es dazu kam, dass Sie sich für die Richterlaufbahn entschieden haben.

Die letzten drei Jahre meiner Schulzeit habe ich das Wirtschaftsgymnasium besucht und war dort das erste Mal näher mit Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht befasst. Aufgrund der Vielfältigkeit der Rechtsgebiete und der beruflichen Perspektiven habe ich mich nach dem Abitur für das Studium der Rechtswissenschaft entschieden. Dabei ergab sich recht bald eine arbeitsrechtliche Ausrichtung, nicht zuletzt, weil ich durch diverse Aushilfstätigkeiten während der Schulzeit und des Studiums bereits einen Einblick in verschiedene Facetten der Arbeitswelt und die Bedeutung des Arbeitsrechts gewonnen hatte. Im Verlauf der juristischen Ausbildung habe ich festgestellt, dass mein Interesse in erster Linie einer „neutralen“, streitschlichtenden und bei Bedarf auch streitentscheidenden Tätigkeit gilt und nicht etwa einer mandatsbezogenen Tätigkeit als Anwältin.

Nach dem Zweiten Staatsexamen 1993 waren aufgrund der Wiedervereinigung die beruflichen Chancen für Volljuristinnen und -juristen – auch und gerade in Berlin – sehr gut. Einem „Anwerbeversuch“ der Justizverwaltung für die ordentliche Gerichtsbarkeit bin ich wegen einer von mir bevorzugten Bewerbung beim Arbeitsgericht nicht gefolgt. Diese Bewerbung war erfolgreich und so wurde ich im Januar 1994 beim Arbeitsgericht Berlin eingestellt. 2006 habe ich das Amt der Vizepräsidentin übernommen; seit 2013 bin ich Präsidentin des Arbeitsgerichts.

Das Arbeitsgericht, aber auch Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zeichnete sich schon sehr früh dadurch aus, dass Frauen Leitungspositionen einnehmen. Worauf, glauben Sie, ist das zurückzuführen?

Nach Herrn Tischmeyer wurde Frau Aust-Dodenhoff die erste Präsidentin des LAG. Seinerzeit waren die Stellen des Vizepräsidenten des LAG, des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Arbeitsgerichts ebenso mit Männern besetzt wie die Positionen der Geschäftsleitungen für das LAG und das Arbeitsgericht. Mit meiner Ernennung zur Vizepräsidentin und später zur Präsidentin, der Ernennung von Frau Dr. Hantl-Unthan zur Präsidentin des LAG, der Nachbesetzung der Geschäftsleitungsstellen ebenfalls durch zwei Frauen und schließlich der Ernennung von Frau Dr. Baer zur Vizepräsidentin des LAG hat sich der Anteil weiblicher Führungskräfte sukzessive deutlich erhöht.

Nach meiner Einschätzung beruht diese Entwicklung zum einen darauf, dass der Frauenanteil in der Richterschaft und der Rechtspflegerschaft des Arbeitsgerichts seit 1990 spürbar gestiegen ist, sodass zahlenmäßig und auch von der Qualifikation her mehr Frauen für höhere Positionen in Betracht kommen. Zum anderen wurden und werden durch die jeweiligen Gerichtsvorstände sowohl Richterinnen als auch Richter, die sich für andere Tätigkeitsbereiche interessieren, gleichermaßen gefördert. Übrigens waren bei den Stellenbesetzungsverfahren der Jahre 2017 bis 2022 zehn Frauen und fünf Männer mit ihrer Bewerbung für den Richterdienst des Arbeitsgerichts erfolgreich.

Frau Klumpp, das Arbeitsgericht Berlin ist das größte Arbeitsgericht Deutschlands. Wir können uns sicherlich gar nicht vorstellen, welche Arbeit auf Sie jeden Tag zukommt. Könnten Sie uns einmal kurz schildern, was alles Ihre Aufgaben sind? Tauschen Sie sich diesbezüglich auch mit dem Präsidenten und der Vizepräsidentin des LAG Berlin-Brandenburg aus?

Ein rechnerisches Pensum von 75 % meiner Tätigkeit entfällt auf diverse Aufgaben im Bereich der Dienstaufsicht und der Verwaltung. Dies umfasst die richterliche Geschäftsverteilung, die ich als Teil des Präsidiums zu regeln habe, die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen, die Bescheidung von Beschwerden, das Betriebliche Eingliederungsmanagement, die Vorbereitung von Neueinstellungen im Richterdienst nebst Einführung und zeitweiliger Begleitung der Proberichterinnen und -richter, die Bearbeitung von Akteneinsichts- und Auskunftsersuchen, die Zuarbeit bei schriftlichen Anfragen von Abgeordneten, die Teilnahme an regelmäßigen Gesprächsrunden mit dem Richterrat des Arbeitsgerichts, dem Personalrat, den Verantwortlichen für die Einführung der E-Akte und für Arbeitsschutz, die Entscheidung über besondere Sicherheitsmaßnahmen bei Gefährdungssituationen, die Vorbereitung und Umsetzung des Sicherheitskonzepts für das Dienstgebäude (Einbau einer Sicherheitsschleuse an der Pforte usw.), die Mitarbeit im Team Gebäude etwa bei der (oft kritischen) Zusammenarbeit mit der Berliner Immobilienmanagement GmbH, die mit dem Vermieter des Dienstgebäudes und sämtlichen Dienstleistern unseres Hauses die Verträge schließt und betreuen soll, die Mitwirkung bei Dienstvereinbarungen und Dienstanweisungen sowie andere Einzelaufgaben und Tätigkeiten.

Während der Pandemie kamen die Mitarbeit im Krisenstab, die Umsetzung der jeweiligen Infektionsschutzvorschriften, die Erstellung der aktuellen Informationen für die Beschäftigten und die Tätigkeit in der Corona- Hotline unseres Hauses hinzu.

Mit einem Pensum von 25 % bin ich mit spruchrichterlichen Aufgaben betraut. Diese Tätigkeit möchte ich trotz des Umfangs der Verwaltungsaufgaben auch weiterhin beibehalten, weil ich als Richterin den Kontakt zur Rechtsprechungspraxis behalten möchte.

Der Präsident und die Vizepräsidentin des LAG, der Vizepräsident des Arbeitsgerichts, die Geschäftsleiterinnen beider Gerichte und ich stehen in ständigem fachlichen Austausch, etwa durch die mehrmals monatlich stattfindende Hausleitungsrunde. Eine solche Zusammenarbeit ist aus meiner Sicht unverzichtbar, weil zahlreiche Themen beide Gerichte und/oder sowohl das nicht richterliche als auch das richterliche Personal betreffen und sinnvoll nur einheitlich geregelt werden können. Durch die 2018 eingeführte elektronische Verwaltungsakte werden die Arbeit und der Austausch im Leitungs- und Verwaltungsbereich zusätzlich gefördert.

Alle Gerichte leiden unter fehlendem Nachwuchs. Wie ist die Situation beim Arbeitsgericht Berlin?

In den Besetzungsverfahren der Jahre 2017 bis 2022 gab es eine ordentliche Anzahl qualifizierter Bewerbungen, sodass wir die Stellen problemlos mit guten Richterinnen und Richtern besetzen konnten. Das Berliner Arbeitsgericht dürfte dabei als Hauptstadtgericht, wegen seiner Größe und möglicher Aufstiegschancen und schließlich auch wegen der Ressortierung bei der Senatsarbeitsverwaltung, die eine ausschließlich arbeitsrichterliche Tätigkeit in Berlin gewährleistet, für den einen oder die andere attraktiv sein. Allerdings ist auch bei uns tendenziell ein Rückgang der Bewerbungen zu verzeichnen. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Besetzungsverfahren wiederum eine ausreichende Zahl guter Bewerbungen erhalten. Zu diesem Zweck ist neben anderem geplant, die nächsten Proberichterstellen in zusätzlichen Portalen auszuschreiben. Eine breitere Akquise ist umso bedeutsamer, als dem Arbeitsgericht – wie in vielen anderen Dienststellen und Unternehmen auch – eine Ruhestandswelle im richterlichen Dienst bevorsteht. Für das laufende Jahr ist mit vier, eventuell fünf Abgängen zu rechnen, 2024 stehen drei Pensionierungen bevor, 2025 erreichen sechs Kollegen die reguläre Altersgrenze, gefolgt von weiteren vier regulären Abgängen im Jahr 2026, zu denen auch ich zähle.

„Allerdings ist auch bei uns tendenziell ein Rückgang der Bewerbungen zu verzeichnen. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Besetzungsverfahren wiederum eine ausreichende Zahl guter Bewerbungen erhalten“

Auch bei der Rechtspflegerschaft, im Servicebereich und im Wachtmeisterdienst wird der Nachwuchs zunehmend knapp. Die Zahl der Bewerbungen sinkt, der Wunsch nach Teilzeitbeschäftigungen nimmt zu und überdies stehen wir bei der Gewinnung von Nachwuchs in Konkurrenz mit den Bundesbehörden und teils auch Brandenburg.

Ist der Beruf der Richterin und des Richters immer noch vor allem für Frauen attraktiv oder konnten Sie im Hinblick auf Elternzeit auch hier eine Veränderung feststellen?

Der Anteil der Frauen bei den Bewerbungen lässt darauf schließen, dass der richterliche Beruf auch weiterhin bei Frauen hoch im Kurs steht. Gerade unter dem Aspekt der Flexibilität und der Familienplanung sind die Rahmenbedingungen des richterlichen Dienstes recht günstig. Einige der dienstjüngeren Kolleginnen haben ihren Dienst einmal oder mehrmals aus familiären Gründen unterbrochen. Auch mehrere dienstjüngere Richter nahmen und nehmen – teils wiederholt – Elternzeit in Anspruch. Der Richterdienst ist insofern auch weiterhin für Männer interessant.

Auch wenn wir, sogar während Corona, Gerichtsverhandlungen in Präsenz durchgeführt haben, gibt es gerade beim Arbeitsgericht Rechtsstreitigkeiten, die die Güteverhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a ZPO für geradezu geeignet erscheinen lassen. Sie selbst beraumen auch auf Bitten von Prozessbevollmächtigten eine solche „Online-Verhandlung“ an. Wie ist die Situation diesbezüglich beim Arbeitsgericht und stehen die Richterinnen und Richter dieser Art der Verhandlung positiv gegenüber?

2021 wurde ein Verhandlungssaal zur Durchführung von Videoverhandlungen vorbereitet; seit Juni 2023 steht ein weiterer Videosaal zur Verfügung. Diese Säle können die Vorsitzenden beider Instanzen nutzen.

Von der Möglichkeit, Videoverhandlungen durchzuführen, macht rund die Hälfte der Vorsitzenden in geeigneten Fällen – vor allem bei Güteverhandlungen mit Verfahrensbeteiligten, deren Sitz räumlich weit entfernt liegt – Gebrauch. Die übrigen Vorsitzenden lehnen Anträge auf Teilnahme per Videoverhandlung vermutlich deshalb ab, weil sie eine Kommunikation per Video für unzureichend halten, sie sich bei den technischen Abläufen unsicher fühlen oder den zusätzlichen Aufwand (Buchung des Saales, ggf. an einem Termin außerhalb ihrer Sitzungstage, gesonderte Versendung des Links usw.) scheuen.

Wir versuchen auch weiterhin, derartige Bedenken und Unsicherheiten auszuräumen. Bei technischen Problemen während der Verhandlung steht neben einem sachkundigen richterlichen Kollegen auch die IT-Stelle zur Unterstützung bereit. Zudem wird in Kürze ein Großteil der Vorbereitungsarbeiten den Servicekräften übertragen.

Bei allen Vorzügen, die eine Videoverhandlung vor allem für die auswärtig ansässigen Bevollmächtigten mit sich bringt, sollte meines Erachtens dieses Modell perspektivisch nicht zum Standardfall werden. Eine mündliche Verhandlung in Präsenz aller Beteiligten ermöglicht in der Regel eine flüssigere Kommunikation und auch eine bessere Einschätzung nonverbaler Signale.

Das leidige Thema „beA“. Beim Arbeitsgericht Berlin werden einige Schriftsätze per Fax an die Anwälte übersandt und dann noch einmal mit Briefpost nachgereicht. Als Anwältin schüttelt man darüber immer wieder den Kopf. Frau Dr. Baer hielt erst kürzlich einen Vortrag beim Arbeitskreis Arbeitsrecht, und man konnte ihren Ausführungen entnehmen, dass sie lieber schon gestern das beA beim LAG einführen möchte. Wie sehen Sie die derzeitige Situation beim Arbeitsgericht, und können wir bald mit beA-Nachrichten vom Gericht rechnen?

Beim elektronischen Rechtsverkehr, insbesondere der elektronischen Übersendung von Schriftstücken an die Anwaltschaft, sind wir aus verschiedenen Gründen leider noch nicht soweit, wie wir es uns selbst wünschen. Elektronische Posteingänge müssen derzeit noch ausgedruckt werden; ein Doppel wird der Gegenseite per Post (und in eiligen Fällen auch per Fax) übersandt. Bei anwaltlichen Empfängern wird dieser Eingang sodann wieder in eine elektronische Form gebracht. Diese Abläufe sind für das Gericht zeit- und kostenaufwendig, für die Anwaltschaft mit zusätzlicher Arbeit verbunden und sollen daher baldmöglichst digitalisiert werden.

„Bei diesem Thema steckt der Teufel im Detail, sodass wir alle noch etwas Geduld haben müssen“

Als erster Schritt wurde mittlerweile der elektronische Posteingang in der Fachanwendung umgesetzt, sodass die auf elektronischem Wege eingegangenen Schriftsätze automatisch dem betreffenden Verfahren zugeordnet werden und dort direkt abrufbar sind.

Für den elektronischen Postausgang ist die Testphase in Kürze abgeschlossen. Im Anschluss daran werden die Gremien beteiligt. Ferner werden derzeit die Voraussetzungen für die Nutzung von Signaturkarten für gerichtliche Dokumente vorbereitet. Nach dem aktuellen Planungsstand ist damit zu rechnen, dass im Oktober oder November dieses Jahres elektronische Eingänge nebst einem gerichtlichen Anschreiben auch auf elektronischem schem Weg an die Gegenseite verschickt werden können. Eine vollständige Korrespondenz auf elektronischem Weg – also auch eine Übersendung von Ladungen und Urteilen – folgt, sobald gerichtliche Schriftstücke elektronisch signiert werden können. Bei diesem Thema steckt der Teufel im Detail, sodass wir alle noch etwas Geduld haben müssen.

Besten Dank für Ihr Interesse an meiner Tätigkeit und Themen des Arbeitsgerichts!

Exklusiv für Mitglieder | Heft 10/2023 | 72. Jahrgang