Und täglich grüßt der Streit zur Höhe der Vergütung des Kfz-Sachverständigen

Vom Umgang mit dem Sachverständigenrisiko

Seit Jahren beschäftigt die Frage, was ein Kfz-Schadensgutachten kosten darf, Gerichte, Anwälte, Sachverständige und – vor allem – die Kfz-Haftpflichtversicherer. Es geht im Kern um die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs – der in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters ist. Und der muss sich fragen: Kann man die Schadenshöhe zugrunde legen, wie das die meisten Sachverständigen machen1Einzelfälle wie z.B. Abrechnungen für Spezialgutachten u.ä. bleiben hier außer Betracht. – oder geht es auch anders?

Rechtsanwältin Andrea Ahlberg | Fachanwältin für Verkehrsrecht | www.ra-ahlberg.de

A. ANWENDBARKEIT DES JVEG – KANN GEHEN

Einen ersten zarten Hinweis, wie damit umzugehen ist, hatte der BGH mit seiner Entscheidung vom 26.4.2016 (Az. VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092) gegeben (nachdem die Sache zwei Jahre vorher schon einmal bei ihm gelandet war):

Geklagt hatte ein Kfz-Sachverständiger aus abgetretenem Recht gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des Geschädigten. Er machte neben seiner Vergütung (434,00 Euro netto) noch Nebenkosten i.H.v. 227,35 Euro netto geltend, bestehend aus einer EDV-Abrufgebühr, Porto, Telefon, Fahrzeugbewertung, Fotos, Fahrtkosten, Schreibgebühren und Fotokopien. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten zahlte auf die Gesamtrechnung vorprozessual noch nicht einmal die Hälfte.

Es war offenbar kompliziert: Die Sache ging vom Amtsgericht zum Landgericht zum BGH. Von dort wieder zurück zum Landgericht und nochmals zum BGH. Der hatte in der zweiten Entscheidung kein Problem damit, dass sich der Tatrichter bei der Höhe der Nebenkosten an den Bestimmungen des JVEG als Entscheidungshilfe orientierte. Weiter führte er aus, dass dem Geschädigten im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots grundsätzlich eine gewisse Plausibilitätskontrolle der vom Sachverständigen bei Vertragsabschluss geforderten oder später berechneten Preise obliegt. So weit, so gut.

Unter Hinweis auf das Urteil verzichtet der Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. (BVSK) seitdem fortlaufend auf eine Befragung seiner Mitglieder zu den Nebenkosten und gibt unterhalb der Honorartabelle unter Hinweis auf das Urteil vom 26.4.2016 die von der Rechtsprechung bislang anerkannten Nebenkosten an.2https://bvsk.it/download/bvsk-honorarbefragung-2024/#support

B. DIE VERSICHERER PROBIEREN’S MAL

Zahlreiche Versicherer gingen in Folge des Urteils dazu über, bei der Prüfung der Höhe der Sachverständigenkosten nicht nur bei den Nebenkosten, sondern auch beim Grundhonorar unter bestimmten Voraussetzungen die Maßstäbe des JVEG anzulegen und nicht mehr – wie vor dem Urteil üblich –, das Honorar auf Grundlage des BVSK-Honorartableaus, also orientiert an der Schadenhöhe, zu erstatten.

Abgestellt wird dabei ganz überwiegend auf folgende Kriterien: Wenn der Kfz-Sachverständige Mitglied im BVSK oder einer anderen vergleichbaren Sachverständigenorganisation ist, zertifiziert oder öffentlich bestellt und vereidigt ist, wird weiterhin gemäß BVSK-Honorartableau erstattet. Sachverständige, die diese Merkmale nicht aufweisen, werden gemäß § 9 Abs.1 JVEG, Anlage 1 auf einen Stundensatz von 120,00 Euro verwiesen. Der für die Erstellung des Gutachtens vom Versicherer „akzeptierte“ Zeitaufwand wird in der Regel auf 1,25 bis 1,5 Stunden geschätzt.

Dies hat zur Folge, dass die von den Versicherern beim Grundhonorar vorgenommenen Kürzungen erheblich sein können. Je höher der kalkulierte Kfz-Schaden, desto höher die vorgenommenen Kürzungen, die teilweise bis 80 Prozent ausmachen.

Die neue Linie der Versicherer, auf das JVEG auch beim Grundhonorar und nicht nur bei den Nebenkosten abzustellen, nahmen die Sachverständigen und Geschädigten nicht hin und klagten. Anfangs folgten die Instanzgerichte dem Vorgehen der Versicherer nicht, so dass deren Erfolgsquote erst mal sehr überschaubar war.

C. STETER TROPFEN HÖHLT DEN STEIN

Aber nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“ folgten im Laufe der Zeit doch einige Amtsgerichte diesem Ansatz.

Dann setzte der BGH am 12.3.2024 mit seinem Urteil zum „Sachverständigenrisiko“ einen weiteren Marker: Der BGH führt darin aus, dass die Grundsätze des sogenannten Werkstattrisikos auch auf überhöhte Kostenansätze eines Sachverständigen anwendbar sind. Der Geschädigte hat auch bei Beauftragung eines KfZ-Sachverständigen nur eingeschränkte Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten und befindet sich daher in der gleichen Situation wie bei Beauftragung einer Werkstatt zur Fahrzeugreparatur (Urteil vom 12.3.24 – VI ZR 280/22, VuR 2024, 275).

Der Geschädigte soll danach im Ergebnis nicht mit den Auseinandersetzungen zwischen dem Kfz-Haftpflichtversicherer und dem die Rechnung stellenden Gutachter zur Höhe der erstattungsfähigen Sachverständigenkosten „belastet“ werden. Ein Geschädigter kann weder bei der Beauftragung einer Fahrzeugreparatur noch bei der Beauftragung eines Gutachters in der Regel beurteilen, welche Rechnungspositionen gemäß § 249 Abs. 2 BGB erforderlich oder nicht erforderlich sind.

D. GESCHÄDIGTER MUSS PLAUSIBILITÄTSKONTROLLE DURCHFÜHREN

Allerdings nimmt der BGH den Geschädigten weiterhin in die Pflicht, eine Plausibilitätskontrolle hinsichtlich der vom Sachverständigen in Rechnung gestellten Kosten vorzunehmen. So führt er aus:

„Verlangt der Sachverständige bei Vertragsschluss Preise, die – für den Geschädigten erkennbar – deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieses Sachverständigen als nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erweisen (Auswahlverschulden). Ein Überwachungsverschulden kommt beispielsweise in Betracht, wenn die Rechnung – für den Geschädigten erkennbar – von der Honorarvereinbarung abweicht oder wenn der Sachverständige für den Geschädigten erkennbar überhöhte Nebenkosten angesetzt hat.“ (a. a. O., Rz. 15)

Ferner müssen die Kosten der Begutachtung unfallbedingt sein.

Sofern also der Geschädigte ein Mitverschulden trägt (Auswahl/Überwachung des Sachverständigen) oder die Kosten durch Verschweigen von Vorschäden verursacht hat, verbleibt das „Sachverständigenrisiko“ bei ihm. Der Geschädigte muss darlegen und beweisen, dass die Sachverständigenkosten angemessen und erforderlich sind. Die Klärung der Frage, was der Geschädigte im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle als überhöht hätte erkennen müssen, dürfte auch in Zukunft die Gerichte beschäftigen.

E. WENN PLAUSIBILITÄTSKONTROLLE ERFÜLLT

Wenn dem Geschädigten kein Mitverschulden oder Verschweigen von Vorschäden angelastet wird, gibt es vier Unterfälle, bei denen es darauf ankommt, wer was verlangt und wann die Rechnung bezahlt wurde. Das Sachverständigenrisiko trägt der Schädiger, wenn

a) der Geschädigte die Rechnung des Sachverständigen bereits bezahlt hat und Zahlung an sich verlangt (Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückforderungsansprüche, wenn der Einwand einer überhöhten Rechnung erhoben wird), oder

b) der Geschädigte die Rechnung noch nicht bezahlt hat und er Zahlung an den Sachverständigen verlangt, Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückforderungsansprüche.

c) Das Sachverständigenrisiko verbleibt hingegen beim Geschädigten, wenn er die Rechnung des Sachverständigen noch nicht bezahlt hat und er Zahlung an sich verlangt.

Würde man in diesem Fall das Sachverständigenrisiko dem Schädiger überhelfen, könnte der Geschädigte trotz vollem Zahlungsausgleich an ihn dem Sachverständigen gegenüber den Einwand einer überhöhten Forderung erheben und wäre somit im Erfolgsfall bereichert.

d) Das Sachverständigenrisiko liegt beim Sachverständigen, wenn er aus abgetretenem Recht Ausgleich seiner Rechnung begehrt. Denn das Sachverständigenrisiko soll ja dem Geschädigten und nicht dem Sachverständigen zugutekommen.

F. FOLGEN FÜR DIE PRAXIS DER VERSICHERER

In Konsequenz des Urteils des BGH vom 12.3.2024 werden die Kfz-Haftpflichtversicherer nun selbst aktiv werden müssen und aus abgetretenem Recht Regressverfahren gegen Sachverständige führen müssen, um eine Klärung zur Höhe der Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB herbeizuführen.

G. BERUFSBILD DER SACHVERSTÄNDIGEN

Aktuell darf sich bekanntlich jede und jeder Sachverständige oder Sachverständiger nennen, da es sich nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung handelt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Qualität von Gutachten beim diesjährigen Verkehrsgerichtstag in Goslar Thema eines Arbeitskreises war. Hier stand die Frage im Vordergrund, ob neue Vorgaben an Sachverständige gemäß der Richtlinie VDI MT 5900, die Kompetenzstandards für Sachverständige für Fahrzeugschäden und Fahrzeugbewertungen aufführt, helfen, die Qualität zu verbessern. Letztlich geht es darum, endlich ein einheitliches Berufsbild zu schaffen und damit auch zu schützen.

H. FAZIT

Hier schließt sich der Kreis: Wie eingangs dargestellt, versuchen die Versicherer, Kosten zu dämpfen. Das richtet sich auch, aber nicht nur gegen den „Feld-Wald- Wiesen-Sachverständigen“. Durch die dargestellten Entwicklungen in Rechtsprechung und Praxis gehen einige Versicherer – meiner Meinung nach zu Recht – zum Teil dazu über, öffentlich bestellte und vereidigte, zertifizierte und anerkannten Berufsverbänden angehörende Sachverständige höher zu vergüten als andere. Es bleibt weiterhin spannend.

Heft 05 | 2025 | 74. Jahrgang