Veranstaltung im Arbeitskreis Strafrecht

Probleme der Institution Polizei im Gefahrenabwehr- und Strafverfahrensrecht aus anwaltlicher Sicht.

Der Arbeitskreis Strafrecht kam am 15. Februar zu seiner zweiten Veranstaltung des Jahres zusammen. Referenten waren der Rechtsanwalt und Buchautor Benjamin Derin sowie Prof. Hartmut Aden, Professor an der HWR mit Schwerpunkt Recht und Politik der Inneren Sicherheit. Moderiert wurde die anschließende Diskussion von Rechtsanwalt Thomas Röth.

Julia Steinmetz | Studium der Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität | 7. Semester

Die Februarveranstaltung des Arbeitskreises Strafrecht beschäftigte sich in diesem Jahr mit der Institution Polizei. Hierfür luden die Sprecher des Arbeitskreises zum einen den Rechtsanwalt Benjamin Derin, Autor des Buches „Die Polizei – Helfer, Gegner, Staatsgewalt – Inspektion einer mächtigen Organisation“ (Derin/Singelnstein) ein. Gemeinsam mit Prof. Hartmut Aden von der HWR gab er im ersten Teil der Veranstaltung Input zur Thematik, insbesondere zu den Problemen und Schwierigkeiten intern und in der öffentlichen Wahrnehmung der Polizei. Viele dieser Aspekte wurden durch den zweiten Referenten Prof. Aden aufgegriffen und teilweise vertieft, indem er neben Anmerkungen zum vorgestellten Buch das Forschungsprojekt „Police Accountability – Towards International Standards“ vorstellte.

PROBLEMANALYSE: WERTE, DIE DIE POLIZEI DURCHSETZEN MUSS, WANDELN SICH

Bevor Benjamin Derin zu den derzeitigen „Kernproblemen“ der Polizei kam, versuchte er die Widersprüche und Konflikte zu erklären, die bereits im Aufgabenbereich der Polizei angelegt seien und häufig zu Problemen, auch in der gesellschaftlichen Betrachtung, führten. Ausgangspunkt hierfür sei die zentrale Aufgabe der Polizei, die bestehende Ordnung, die überwiegend auf den Werten und Interessen der Mehrheitsgesellschaft basiert, durchzusetzen, unabhängig davon, ob bestimmte Werte gerade einem aktuellen Wandel unterworfen sind. So sei, laut Derin, schon die Ordnung an sich nicht neutral, sondern Spiegelbild der gegenwärtigen Wertvorstellungen. Die Vorstellung, dass die Durchsetzung, in der zusätzlich noch Aspekte wie Gefahren, Verdacht und Ermessen Einfluss finden, völlig neutral ablaufen könne, sei folglich nicht zu erfüllen. Letztlich liege das Gewaltmonopol in unserer Gesellschaft beim modernen Staat, der dieses an die Polizei überträgt und Gewaltausübung zum Teil der polizeilichen Arbeit erklärt. Hieraus entwickelt sich ein Konflikt mit einer Gesellschaft, die Gewalt gerade nicht mehr als Lösung von Problemen sieht. Die Polizei soll jedoch trotzdem hohes Ansehen genießen und eben nicht „geächtet“ werden.

„Hieraus entwickelt sich ein Konflikt mit einer Gesellschaft, die Gewalt gerade nicht mehr als Lösung von Problemen sieht“

DIE FÜNF KERNPROBLEME DER INSTITUTION

Derin sieht neben den grundlegenden Aufgabenkonflikten der Polizei fünf Kernprobleme, die die Arbeit der Polizei sowie ihr gesellschaftliches Ansehen negativ beeinflussen und die er in seinem Buch genauer analysiert. Als erstes Problem identifiziert er die Gewalt (bzw. Polizeigewalt) und die mangelnde Auseinandersetzung mit der Problematik. 94 % der Körperverletzungen im Amt würden nach § 170 II StPO eingestellt, weitere knapp 4 % nach §§ 153 I, 153a StPO.
Als weiteres Problem sieht er den bestehenden Rassismus und das diskriminierende Verhalten von Polizeibeamten bei der Arbeit, ausgehend von Vorurteilen und fremdenfeindlichen Einstellungen. Eng hiermit verbunden sei auch das dritte Kernproblem, der Rechtsextremismus. Zwar sei die Polizei laut Derin „nicht großflächig durchzogen“, Verbindungen zu rechten Netzwerken und Preppern seien aber vorhanden. Ebenfalls eng mit den bereits genannten Problemen verbunden sei die fehlende Fehlerkultur bei der Polizei, also sowohl das Eingestehen von Fehlern als auch die sachgemäße Aufarbeitung und zukünftige Verhütung. Derzeit bestehe häufig wenig Interesse an der Aufarbeitung, Probleme bleiben lieber intern. Als Beispiel für fehlende Fehlerkultur nennt Derin den G20-Gipfel in Hamburg und die (fehlende) Reaktion der Polizei und Politik auf rechtswidrige Polizeigewalt. Als letztes Kernproblem wird die „Verselbstständigung“ der Institution genannt. Die Gesellschaft beauftragt die Polizei, sie erhält Aufgaben, Befugnisse, aber auch Erwartungen und Kritik. Doch auch die Polizei beeinflusse die Gesellschaft durch Erwartungen, eigene Interessen und Machtstreben. Die Polizei als Institution mache „selbst Politik“.

Das Buch des Referenten Benjamin Derin; Mitautor Derin ist Referent der Veranstaltung

WAS KANN MAN TUN?

Am Ende seines Vortragsteils stellte Benjamin Derin drei Fragen in den Raum: Wie kann man die Polizei verbessern? Wie kann man die Rolle der Polizei verändern? Und was sollte die Polizei tun und was nicht? An dieser Stelle kam es zu zahlreichen Wortmeldungen der Teilnehmenden. Bei den ersten beiden Fragen wurde über Aspekte wie Änderungen in der Ausbildung und Fortbildung, mehr Diversity und Supervision diskutiert. Auch die rechtliche Einhegung externer Kontrolle, Demokratisierung, eine andere interne Fehlerkultur und ein anderes Selbstverständnis könne die Rolle der Polizei verändern. Bei der letztgenannten Frage wurde jedoch deutlich, dass viele der polizeilichen Probleme auch gesellschaftliche sind. Durin fordert daher, dass gesellschaftliche Ressourcen und Aufgaben der Polizei verlagert werden müssten. Die Polizei solle kein „Sammelbecken“ gesellschaftlicher Probleme sein.

POLICE ACCOUNTABILITY – TOWARDS INTERNATIONAL STANDARDS

Prof. Hartmut Aden setzte mit der Vorstellung seines Forschungsprojekts dort an, wo Benjamin Derin seinen Vortrag beendet hatte: Was kann man tun, wie kann man die Tätigkeiten der Polizei verbessern und evtl. kontrollieren? Das Projekt „Police Accountability – Towards International Standards”, in dem Prof. Aden mit seinem Team sowie mit Forschungsgruppen aus fünf weiteren Ländern zusammenarbeitet, forschte insbesondere zu externen Polizeibeschwerdestellen in der Theorie und Praxis. Fazit der Untersuchung war, dass die Autonomie von Verwaltungen, also auch von Institutionen wie der Polizei, gegenüber politischer Steuerung gewachsen sei. Konsequenzen dieses Ergebnisses sieht Prof. Aden folglich in der Notwendigkeit der Kompensation durch neue Formen von institutioneller Accountability in Form von Aufsichtsgremien, Beauftragten und einem besseren Beschwerdemanagement.

„Notwendigkeit der Kompensation durch neue Formen von institutioneller Accountability in Form von Aufsichtsgremien, Beauftragten und einem besseren Beschwerdemanagement“

Im Detail stellte er in der Veranstaltung die seit 2014 in Deutschland eingerichteten Polizei- und Bür ger*in nenbeauftragten vor, welche es seit 2022 auch neben der ADGOmbudsstelle in Berlin gibt. Derzeit noch nicht völlig fest seien Gestaltungsfragen dieser Stelle, wie z. B. die genaue Struktur, der Umfang der Zuständigkeiten, Folgekompetenzen sowie der Umgang mit möglichen Widerständen, u. a. seitens der Polizeigewerkschaften. Über die Kompetenzen und die Einrichtung der Polizeibeauftragten wurde in der Veranstaltung umfassend diskutiert.
Im Anschluss an die Beiträge der Referenten wurde das Thema durch Nachfragen und Redebeiträge der anwesenden Rechtsanwält*innen aus verschiedenen Blickrichtungen beleuchtet. Thema der Diskussion war neben den bereits genannten Aspekten auch die Diskriminierung von Frauen, z. B. in Verhörsituationen, das Verhältnis der Richterschaft zur Polizei und mögliche Änderungen in der polizeilichen Selbstreflektion durch den Einsatz von Bodycams und allzeit mögliche Videoaufnahmen durch Smartphones. Erst nach dem geplanten Ende der Veranstaltung um 20 Uhr kam die rege Diskussion zu einem Ende.
Der Arbeitskreis Strafrecht trifft sich regelmäßig am 3. Mittwoch eines Monats. Die nächste Veranstaltung in diesem Monat findet am 24. Mai 2023 zum Thema „Marketing und Strafrecht – Sichtbarwerden als StrafverteidigerIn“ statt. Anmeldungen unter: ak-strafrecht@berlineranwaltsverein.de

Exklusiv für Mitglieder | Heft 05/2023 | 72. Jahrgang