Vermögen unklarer Herkunft

Zur Ausweitung der selbständigen Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB.

Der strafrechtliche Gesetzgeber scheint mit Blick auf sogenanntes „Vermögen unklarer Herkunft“ ein klares und eindeutiges Programm zu haben: Beseitigung der „rechtswidrigen Vermögenslage“ und Einziehung der Vermögenswerte. Plakativ wird dies an einigen wenigen herausragenden Fallgestaltungen diskutiert, praktisch insbesondere im Rahmen der Beschlagnahme hoher (Bar-) Geldbeträge. Immer schwang auch (mehr oder weniger deutlich) das weitere kriminalpolitische Schlagwort von der „Bekämpfung des organisierten Verbrechens“ mit. Wie weitreichend die diesbezüglichen Regeln inzwischen sind, soll im Folgenden näher dargestellt werden. Hinzu tritt, dass die praktische Handhabung der ohnehin weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten die Intensität der Maßnahmen noch einmal verstärkt. Dies allein erscheint verfassungsrechtlich in hohem Maße bedenklich.

Dr. Jan Philipp Book | Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht | kpw Rechtsanwälte

Schließlich sei ein Ausblick gewagt: Das Recht der Einziehung kennt keine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Bargeld auf der einen Seite und Buchgeld auf der anderen Seite. Steht zu befürchten, dass die Regelungen, die mit dem Vorbild des Bargeldkuriers geschaffen worden sind, auf Kontoguthaben ausgedehnt werden?

1. PROBLEMKREIS: VERMÖGEN UNKLARER HERKUNFT

Das Schlagwort vom „Vermögen unklarer Herkunft“ hat den Gesetzgeber immer wieder bewegt. Die Zielrichtung der selbständigen Einziehung in diesem Bereich beschreibt der Gesetzesentwurf (BT-Drucksache 18/9525, S. 56) wie folgt: „Das Instrument zielt nicht auf die Verhängung einer Sanktion gegen den Betroffenen. Es soll vielmehr strafrechtswidrige Vermögenslagen beseitigen, um die Nutznießung von Verbrechensgewinnen oder deren Reinvestition in kriminelle Aktivitäten zu verhindern. Das Ziel der Maßnahme ist es also, eine Störung der Vermögensordnung zu beseitigen und so der materiellen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen. Es handelt sich damit um eine in die Zukunft gerichtete Maßnahme der Vermögensabschöpfung, die nicht dem Schuldgrundsatz unterliegt.“

Dem Gesetzgeber schwebte ursprünglich offenbar eine klare Beschränkung des Instruments auf den Terrorismus und organisierte Kriminalität vor (vgl. BT-Drucksache 18/9525, S. 73). Dies kam insbesondere durch den (damaligen) Straftatenkatalog in § 76a Abs. 4 StGB zum Ausdruck. Die kriminalpolitische Zielsetzung war allerdings stets klar. Diese beschreibt Meyer (NZWiSt 2018, 246) (zustimmend und bereits im Duktus bezeichnend) wie folgt: „Ziel des neuen Instruments in § 76a Abs. 4 StGB ist Vermögen, dessen Herkunft nach kriminalistischer Erfahrung klar ist. Es geht um Vermögen, dessen illegaler Ursprung der Gesellschaft ins Gesicht schreit. Es geht um Vermögen, dessen Zurschaustellung die Kraft hat, das staatliche Gewaltmonopol und Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung infrage zu stellen.“ Die so umschriebene Gefahr verlangt konsequent nach einschneidenden Maßnahmen.

2. SELBSTÄNDIGE EINZIEHUNG, § 76A ABS. 4 StGB

Die selbständige Einziehung war stets inspiriert vom Vorbild polizeilicher Flughafen- oder Grenzkontrollen, bei denen hohe Bargeldsummen gefunden werden. Die alte Rechtslage, nach welcher mangels Nachweises einer Vortat gelegentlich Geldbeträge herausgegeben werden mussten, empfand der Gesetzgeber bereits 2016 als äußerst unbefriedigend. Aus diesem Grund wurde die Möglichkeit der selbständigen Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB geschaffen. Auf die Verfolgung des Betroffenen wegen der zugrunde liegenden Straftat sollte dabei gerade verzichtet werden. Dies sollte nach § 76a Abs. 4 StGB dann möglich sein, wenn „[e]in aus einer rechtswidrigen Tat herrührender Gegenstand, der in einem Verfahren wegen des Verdachts einer in Satz 3 genannten Straftat sichergestellt worden ist“. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 18.9.2019, 1 StR 320/18) interpretierte insbesondere diesen Wortlaut so, dass zum Zeitpunkt der Sicherstellung bereits der Verdacht einer Katalogtat bestanden haben musste und die Beschlagnahme gerade wegen dieses Verdachts erfolgte. Insbesondere sei eine nachträgliche Umdeutung der Verdachtslage in der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügung unzureichend. Schließlich lasse sich regelmäßig ein nicht zu erhärtender Tatverdacht nach einer Katalogtat (insbesondere der Geldwäsche) in der Abschlussverfügung begründen. Dies solle – nach damaliger Rechtslage – nicht genügen.

3. § 437 STPO – THEORIE UND PRAXIS

Das prozessuale Gegenstück zu § 76a Abs. 4 StGB findet sich in § 437 StPO. Dieser lautet:

„Bei der Entscheidung über die selbständige Einziehung nach § 76a Absatz 4 des Strafgesetzbuches kann das Gericht seine Überzeugung davon, dass der Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt, insbesondere auf ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen stützen. Darüber hinaus kann es bei seiner Entscheidung insbesondere auch berücksichtigen

  1. das Ergebnis der Ermittlungen zu der Tat, die Anlass für das Verfahren war,
  2. die Umstände, unter denen der Gegenstand aufgefunden und sichergestellt worden ist, sowie
  3. die sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen.“

Dem Tatrichter soll ein erweiterter Spielraum für seine Überzeugungsfindung eröffnet werden, wie bereits der Gesetzesentwurf betont (Hervorhebung von hier):

„Das Verfahren der selbständigen Einziehung nach § 76a Absatz 4 StGB-E ist ein Verfahren gegen die Sache („ad rem“); es richtet sich nicht gegen eine Person. Es hat damit keinen Strafcharakter. Die Rechtfertigung des Eingriffs ist verfassungsrechtlich allein an Artikel 14 GG zu messen […] In beweisrechtlicher Hinsicht folgt daraus ein Verfahren, das sich an den zivilrechtlichen Darlegungs- und Beweislastregeln orientiert.“

„Faktisch sieht sich der Betroffene nicht selten einer Beweislastumkehr gegenüber“

Auch wenn betont wird, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bleibe unangetastet, so wird doch deutlich, dass eine gravierende Verschiebung intendiert ist. Faktisch sieht sich der Betroffene nicht selten einer Beweislastumkehr gegenüber. Selbst wenn der Betroffene sich zur Herkunft der Vermögenswerte äußert, ist das Gericht keineswegs gehalten, ihm Glauben zu schenken. Im Gegenteil: Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung kann das Gericht einen abweichenden Schluss ziehen, wenn dies seiner Überzeugung entspricht. Dies kann das Gericht (revisionsrechtlich nicht angreifbar) selbst dann tun, wenn ein anderer Schluss näher gelegen hätte.

4. Anknüpfungspunkt: Geldwäsche!

Durch das „Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche“ vom 9. März 2021 ist nicht nur der Tatbestand der Geldwäsche neu gefasst worden. Auch das Recht der selbständigen Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB hat weitreichende Änderung erfahren.

a) Neufassung des Geldwäschetatbestands und des § 76a Abs. 4 StGB

Zentrales Anliegen der Reform der Geldwäsche war die Aufgabe eines Katalogs von Vortaten. Im Rahmen der Geldwäsche genügt nunmehr das Herrühren aus einer – wie auch immer gearteten – rechtswidrigen Tat (sog. all crimes approach). Noch der Regierungsentwurf sah mit Blick auf § 76a Abs. 4 StGB eine Beschränkung auf schwerwiegende Fälle der Geldwäsche vor (RegE: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche, S. 18: „Der Verzicht auf einen selektiven Vortatenkatalog bei § 261 StGB wirkt sich mittelbar auch auf den Umfang der Kataloge schwerer Straftaten aus, in denen die Geldwäsche aufgeführt ist (§ 76a Absatz 4 StGB […]). Um die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Regelungen zu wahren, ist die Geldwäsche in den entsprechenden Katalogen nur noch in bestimmten schwerwiegenden Fällen zu erfassen.“)

„Ein Anfangsverdacht nach § 261 StGB setzt nicht länger voraus, dass eine Vortat der Geldwäsche konkretisiert werden kann“

Diese vernünftige Beschränkung ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren aufgegeben worden. § 76a Abs. 4 StGB lässt nunmehr die einfache Geldwäsche nach § 261 StGB als Vortat genügen. Ein Anfangsverdacht nach § 261 StGB setzt, wohlgemerkt: nach der Neufassung, nicht länger voraus, dass eine Vortat der Geldwäsche konkretisiert werden kann. Praktisch senkt dies die Anforderungen des § 76a Abs. 4 StGB ganz erheblich. Gerade bei Bargeldfunden wird sich ein Anfangsverdacht nahezu immer konstruieren lassen (vgl. auch näher El-Ghazi/Laustetter NZWiSt, 2021, 209, 215). Wolf weist zu Recht darauf hin, die Änderung hebele das gesamte bisherige System des § 76a Abs. 4 StGB aus den Angeln (NJOZ 2021, 1025, 1028): Stehe fest, dass etwa das Bargeld aus einer Nicht-Katalogtat stamme, scheide die Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB aus. Habe sich der Betroffenen das Geld jedoch im Sinne des § 261 StGB verschafft (und anknüpfend an die Nicht- Katalogtat eine Geldwäsche begangen), so erfolge die Einziehung.

b) Zeitpunkt der Sicherstellung

Hinzu tritt Folgendes: Durch das Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche ist der Wortlaut des § 76a Abs. 4 StGB auch darüber hinaus – auf den ersten Blick in unscheinbarer Weise – geändert worden. Bezugspunkt der Einziehung ist nunmehr „ein wegen des Verdachts einer in Satz 3 genannten Straftat sichergestellter Gegenstand“. Die frühere Fassung, welche noch auf eine vorhergehende Beschlagnahme abgestellt hatte („Gegenstand, der in einem Verfahren wegen des Verdachts einer in Satz 3 genannten Straftat sichergestellt worden ist“), ist damit ersetzt. Damit ist auch der zitierten einschränkenden Auslegung des Bundesgerichtshofs die Grundlage entzogen. Voraussetzung der selbständigen Einziehung ist damit nicht mehr das Bestehen eines Tatverdachts bereits vor Sicherstellung des Einziehungsgegenstands. Gerade in Konstellationen, in denen sich der Tatverdacht erst aufgrund des Fundes (etwa von Bargeld) ergeben soll, ist dies höchst problematisch. Der Umgang mit hohen Bargeldsummen als solcher ist damit bereits risikobehaftet.

c) Keine wirksame Begrenzung des Anwendungsbereichs

Gerade im Zusammenwirken der einzelnen Regelungen ergibt sich, dass eine wirksame Beschränkung des Anwendungsbereichs der selbständigen Einziehung kaum noch vorgenommen werden kann. Dies lässt sich in einem praktischen (und fiktiven) Beispiel auf die Spitze treiben:

Der ausländische Staatsbürger A gerät in eine Verkehrskontrolle. Die Polizisten bemerken auf dem Beifahrersitz eine hohe Bargeldsumme. Insgesamt handelt es sich um 30.000,00 Euro. Diese wird sodann wegen des Verdachts der Geldwäsche in dem gegen A eingeleiteten Verfahren sichergestellt. A macht keinerlei Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Herkunft des Geldes. Das Ermittlungsverfahren wird alsbald eingestellt.
Kann das Geld im Rahmen des selbständigen Einziehungsverfahren eingezogen werden? Strenggenommen sind weder inkriminierende Umstände ersichtlich noch kann ein Missverhältnis zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des A genommen werden. Immerhin sind diese unbekannt. In der Logik des Gesetzgebers läge es demgegenüber nahe, dass die Praxis zu einer Einziehung gelangen würde. Schließlich hat A die Möglichkeit offenzulegen, woher die Gelder stammen!

5. Ausblick: Ausweitung auf Buchgeld? 

Die Anforderungen an die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB sind ganz erheblich abgesenkt worden. Dies bewegt sich in Richtung auf einen allgemeinen, amtlich verfolgten Kondiktionsanspruch des Staates hin, den der Betroffene nur abwenden kann, indem er das Gericht von der legalen Herkunft der Mittel überzeugen kann. Mit diesem wird konfrontiert, wer ins Blickfeld der Strafverfolgungsbehörden geraten ist – auf welchen Wegen auch immer. Einige plakative Konstellationen werden genutzt, um weit darüber hinaus nahezu voraussetzungslose staatliche Eingriffe zu legitimieren. Es lohnt sich, ins Bewusstsein zu rufen, dass die diesbezüglichen Ermittlungen mit strafprozessualem Instrumentarium geführt werden. Die angebliche Orientierung an zivilrechtlichen Grundsätzen ist einseitig.

„Die Logik der aufgezeigten Ausweitungen ließe sich ohne Weiteres auf Buchgeld übertragen“

Bezugsobjekt der Einziehung ist ein aus einer rechtswidrigen Tat herrührender Gegenstand. Paradigmatisch für die gesamte Entwicklung des Einziehungsrechts sind dabei, wie beschrieben, Bargeldfunde geworden. Die Logik der aufgezeigten Ausweitungen ließe sich allerdings ohne Weiteres auf Buchgeld übertragen – anknüpfend an die immer zahlreicheren Verdachtsmeldungen: Eine Privatperson erhält eine nicht näher bezeichnete Überweisung in Höhe von 20.000,00 Euro von einem Unternehmen im europäischen Ausland. Ein Verwendungszweck ist nicht nachvollziehbar. Das betreffende Konto wird im Übrigen kaum genutzt. Die Bank erstattet eine Verdachtsanzeige. Ein konkreter Bezug zu illegalen Vorgängen kann nicht hergestellt werden. Die Einkommensverhältnisse des Kontoinhabers sind unbekannt.
Wird dies in Zukunft genügen, um Arrestmaßnahmen in die Wege zu leiten? Oder bedarf es weiterer Verdachtsmomente? Überweisungen aus welchen Ländern oder von welchen Unternehmen werden zukünftig als verdächtig angesehen, um die faktischen Darlegungspflichten des § 437 StPO auszulösen?
Das Beispiel zeigt, dass das mit Blick auf Bargeldkuriere entwickelte Instrumentarium dringend einer Begrenzung bedarf. Die Neufassung des § 76a Abs. 4 StGB ermöglicht – gerade in der Praxis – eine nahezu schrankenlose Einziehung.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 09/2023 | 72. Jahrgang