Vollstreckung deutscher Titel in der Schweiz

Die Schweiz, (auch) in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht eine Insel in Europa.

1 AUSGANGSLAGE

Ende 2021 belief sich die ständige ausländische Wohnbevölkerung der Schweiz auf ca. 2,2 Mio. von total ca. 8,74 Mio. Personen. Von der ausländischen Wohnbevölkerung besitzen ca. 14 % einen deutschen Pass.1Vgl. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, Staatssekretariat für Migration SEM, Jahresstatistik Zuwanderung 2021. In den Einwanderungsstatistiken der vergangenen Jahre befand sich Deutschland immer in den vordersten Rängen.

Felix C. Meier-Dieterle | Rechtsanwalt | Partner, VISCHER AG, Zürich – Basel – Genf | www.vischer.com | www.arrestpraxis.ch

Tausende von Grenzgängern wohnen in Deutschland und arbeiten in der Schweiz. Deutschland ist für die Schweiz die wichtigste Handelsnation. Wo Völker wandern und Handel betrieben wird, gibt es Probleme und entsprechend Urteile auf Geldzahlung, die der Vollstreckung zugeführt werden müssen.

„Liegt ein vollstreckbares Urteil oder eine vollstreckbare öffentliche Urkunde aus Deutschland vor, kann in der Schweiz nicht direkt vollstreckt werden, insbesondere können nicht direkt über den Gerichtsvollzieher Vermögenswerte des Schuldners gepfändet werden“

Das ist der große Unterschied zu einer Vollstreckung in Deutschland. Bevor es zur eigentlichen Vollstreckung kommt, muss zuerst das (innerschweizerische) Vollstreckungsverfahren durchlaufen werden. Wehrt sich der Schuldner in diesem Verfahren, kann es nach Erhalt eines vollstreckbaren Titels bis zur Pfändung ohne Weiteres Monate dauern und teuer werden.
Nachfolgend wird vorab die „normale“ Zwangsvollstreckung dargestellt. Anschließend wird aufgezeigt, wie mittels einer Sicherungsmaßnahme vor der „normalen“ Zwangsvollstreckung Vermögenswerte des Schuldners mit einem Arrest gesichert werden können.2Vgl. die Know-how-Datenbank www.arrestpraxis.ch mit aktuellen Verweisen auf die anwendbaren Gesetze, die Literatur und Gerichtsentscheide zum Arrest. Abrufbar sind auch verschiedene Checklisten.

2 „NORMALE“ ZWANGSVOLLSTRECKUNG

2.1 Zahlungsbefehl

Die Zwangsvollstreckung in der Schweiz beginnt mit der Ausstellung eines Zahlungsbefehls durch das Betreibungsamt (Vollstreckungsamt). Der Gläubiger beantragt die Ausstellung eines Zahlungsbefehls mit schriftlichem Gesuch an das Betreibungsamt. Ein Zahlungsbefehl enthält den Namen und Wohnort des Gläubigers und des Schuldners, die Forderungssumme in Schweizer Währung mit der Höhe der Zinsen und dem Beginn des Zinsenlaufes sowie die Forderungsurkunde oder in Ermangelung einer solchen den Grund der Forderung.3Art. 67 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs SchKG. Formulare für ein Betreibungsbegehren können von den Websites der meisten Betreibungsämter heruntergeladen werden: https://www. betreibungsinspektorat-zh.ch/deu/documents/Betreibungsbegehren_002. pdf, abgerufen am 6.12.2022. Die Ausstellung eines Zahlungsbefehls kann voraussetzungslos beantragt werden. Entsprechend kann sich der Schuldner auch einfach gegen den Zahlungsbefehl wehren. Er kann innert zehn Tagen nach Zustellung des Zahlungsbefehls beim Betreibungsamt Rechtsvorschlag (Widerspruch) erheben. Dafür braucht es keine Begründung. Unterlässt er dies, kann der Gläubiger innert 20 Tagen nach Zustellung des Zahlungsbefehls das Fortsetzungsbegehren (Pfändungsbegehren) stellen, das letztlich in die Pfändung und Verwertung mündet.

2.2 Rechtsöffnungsverfahren gestützt auf einen Schweizer Titel

Hat der Schuldner Rechtsvorschlag erhoben, muss der Gläubiger zur Weiterführung der Vollstreckung den Rechtsvorschlag beseitigen. Dafür muss er ein Gerichtsverfahren, das Rechtsöffnungsverfahren, einleiten. In diesem Verfahren wird entschieden, ob und in welchem Umfang eine Zwangsvollstreckung weitergeführt werden kann. Die Einwendungen des Schuldners sind bei einem Schweizer Urteil limitiert (Urkundenbeweis der Tilgung oder Stundung, Einrede der Verjährung).4Art. 81 Abs. 1 SchKG.

2.3 Rechtsöffnungsverfahren gestützt auf einen deutschen Titel

Liegt dem Rechtsöffnungsgesuch ein vollstreckbares Urteil oder eine vollstreckbare öffentliche Urkunde aus Deutschland zugrunde, muss vorab entschieden werden, ob der deutsche Titel in der Schweiz vollstreckbar ist. Im Verhältnis Deutschland/Schweiz entscheidet sich diese Frage nach dem Lugano-Übereinkommen,5Art. 38 ff. des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen) das in weiten Teilen der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen entspricht (EuGVVO).6(EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Das Rechtsöffnungsgericht kann vorfrageweise über die Vollstreckbarerklärung entscheiden.7Geht der Gläubiger davon aus, dass mehrere Vollstreckungsverfahren in der Schweiz durchgeführt werden müssen, kann er im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens explizit die Vollstreckbarerklärung des deutschen Urteils verlangen. Sind die Voraussetzungen erfüllt, verfügt der Richter im Dispositiv: „Das Urteil des Amtsgerichtes … vom … i.S. … wird für vollstreckbar erklärt“. Mit Rechtskraft dieses Urteils kann der Gläubiger jedes spätere Rechtsöffnungsverfahren wie ein Schweizer Verfahren führen. Wird die Vollstreckbarerklärung bejaht, bedeutet dies, dass die Wirkungen des ausländischen Urteils auch für die Schweiz gelten. Entsprechend muss das Rechtsöffnungsgericht (wie bei innenschweizerischen Titeln) prüfen, ob der Schuldner mit Urkunden beweisen kann, dass die Forderung getilgt oder gestundet ist, oder ob er zu Recht die Verjährung anruft.

3 ARRESTVERFAHREN

3.1 Arrestgesuch

„Um zu verhindern, dass ein Schuldner Vermögenswerte beiseiteschafft, können diese mit einem Arrest gesichert werden“

Beim Arrest handelt es sich um eine vorsorgliche Maßnahme zur Sicherung einer späteren Zwangsvollstreckung, der Schuldner wird nicht angehört.8BGE (Bundesgerichtsentscheid) 133 III 589. Der Gläubiger muss dafür ein Gerichtsverfahren einleiten und die Voraussetzungen für die (explizite) Vollstreckbarerklärung und die Arrestbewilligung darlegen. Das Arrestgericht bewilligt einen Arrest und beauftragt das Betreibungsamt mit dessen Vollzug, falls der Gläubiger seine Forderung (aus dem Titel) und einen Arrestgrund (ebenfalls der Titel) glaubhaft darlegen kann und Vermögenswerte des Schuldners substanziiert bezeichnet.9Art. 271 f. SchKG. Alles, was pfändbar ist, ist auch arrestierbar: Forderungen gegenüber Dritten (Bankguthaben, Darlehensrückzahlungen, Lohnansprüche etc.), Grundstücke, Kunst, Schmuck, Fahrzeuge, Aktien etc. Das Betreibungsamt sucht nicht selber nach Vermögenswerten, sondern arrestiert nur diejenigen, die vom Gläubiger im Arrestgesuch genannt und vom Arrestgericht im Arrestbefehl aufgeführt sind.10Vgl. Felix C. Meier-Dieterle, Arrestvoraussetzungen und Arrestbegehren – eine Checkliste, ZZZ 2017/2018, S. 37 ff., abrufbar auf www.arrestpraxis.ch Örtlich zuständig für ein Arrestgesuch ist das Gericht am ordentlichen Betreibungsort des Schuldners (zumeist Wohnsitz) oder am Ort der Vermögensgegenstände.11Art. 272 Abs. 1 SchKG. Letzterer ist insbesondere massgebend, falls der Schuldner in der Schweiz keinen Wohnsitz hat. Wohnt der Schuldner z.B. in Berlin oder Wien, hat er aber ein Bankkonto in der Schweiz, kann das Arrestgesuch am Sitz der Bank als Drittschuldnerin eingeleitet werden.12 BGE (Bundesgerichtsentscheid) 140 III 512.

„In der Beratung sind nicht nur Anfragen von Gläubigern, sondern auch solche von (zukünftigen) Schuldnern zum Risiko der Arrestierung von Vermögenswerten in der Schweiz sehr häufig (asset protection)“

3.2 Arresteinsprache/Arrestprosequierung

Der Schuldner kann sich gegen den Arrestbefehl wehren und Arresteinsprache erheben. In diesem Gerichtsverfahren entscheidet das Arrestgericht nochmals, aber nach Anhörung des Schuldners darüber, ob die Voraussetzungen für die Arrestbewilligung gegeben sind. Möchte sich der Schuldner gegen die Vollstreckbarerklärung wehren, muss er direkt Beschwerde an das obere kantonale Gericht erheben. Der Gläubiger muss den Arrest rechtzeitig prosequieren, d.h. innert jeweils kurzer Zehntagesfristen in die „normale“ Zwangsvollstreckung überführen.

3.3 Vorteile für den Arrestgläubiger

Das Gesetz gewährt dem Arrestgläubiger bei der Verteilung der Vermögenswerte mit Ausnahme der ihm entstandenen Gerichts- und Betreibungskosten keine Vorrechte. Er muss daher damit rechnen, dass er für andere Gläubiger in der gleichen Pfändungsgruppe oder für alle Gläubiger bei der Eröffnung des Konkurses (Insolvenz) über den Schuldner Vermögenswerte des Schuldners gesichert hat. Ein erfolgreich erlangter Arrest schafft aber immer beste Voraussetzungen für einen Vergleich.

„Freeze assets before yours get frozen!”

4 KOSTEN

Die Kosten des Betreibungsamtes und die Kosten für die verschiedenen Gerichtsverfahren sind schweizweit geregelt.13Art. 16 und 48 der Gebührenverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs GebV SchKG. Bei einer Forderung in der Höhe von CHF 100‘000 betragen die Kosten für einen Zahlungsbefehl ca. CHF 90, die Kosten für die (gerichtliche) Vollstreckbarerklärung ca., CHF 300 (max. CHF 1‘000) und für die Arrestbewilligung und die Arresteinsprache je ca. CHF 500.
In Gerichtsverfahren muss bei einem Unterliegen der obsiegenden Partei eine Entschädigung bezahlt werden.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 03/2023 | 72. Jahrgang
  • 1
    Vgl. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, Staatssekretariat für Migration SEM, Jahresstatistik Zuwanderung 2021.
  • 2
    Vgl. die Know-how-Datenbank www.arrestpraxis.ch mit aktuellen Verweisen auf die anwendbaren Gesetze, die Literatur und Gerichtsentscheide zum Arrest. Abrufbar sind auch verschiedene Checklisten.
  • 3
    Art. 67 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs SchKG. Formulare für ein Betreibungsbegehren können von den Websites der meisten Betreibungsämter heruntergeladen werden: https://www. betreibungsinspektorat-zh.ch/deu/documents/Betreibungsbegehren_002. pdf, abgerufen am 6.12.2022.
  • 4
    Art. 81 Abs. 1 SchKG.
  • 5
    Art. 38 ff. des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen)
  • 6
    (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
  • 7
    Geht der Gläubiger davon aus, dass mehrere Vollstreckungsverfahren in der Schweiz durchgeführt werden müssen, kann er im Rahmen des Rechtsöffnungsverfahrens explizit die Vollstreckbarerklärung des deutschen Urteils verlangen. Sind die Voraussetzungen erfüllt, verfügt der Richter im Dispositiv: „Das Urteil des Amtsgerichtes … vom … i.S. … wird für vollstreckbar erklärt“. Mit Rechtskraft dieses Urteils kann der Gläubiger jedes spätere Rechtsöffnungsverfahren wie ein Schweizer Verfahren führen.
  • 8
    BGE (Bundesgerichtsentscheid) 133 III 589.
  • 9
    Art. 271 f. SchKG.
  • 10
    Vgl. Felix C. Meier-Dieterle, Arrestvoraussetzungen und Arrestbegehren – eine Checkliste, ZZZ 2017/2018, S. 37 ff., abrufbar auf www.arrestpraxis.ch
  • 11
    Art. 272 Abs. 1 SchKG.
  • 12
    BGE (Bundesgerichtsentscheid) 140 III 512.
  • 13
    Art. 16 und 48 der Gebührenverordnung zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs GebV SchKG.