Vom Erben, Vererben, vom Geben und Nehmen

Veranstaltung des AK Sozialrecht am 20. März 2023.

Im Fokus der Märzsitzung des AK Sozialrecht stand ein Beitrag des AK Erbrecht; in dessen Maisitzung dann sollen sozialrechtliche Perspektiven debattiert werden. Als der AK Sozialrecht im September 2022 zu einer Gesprächsrunde mit Frau Katja Kipping lud, fand sich unter den Teilnehmenden auch Herr RA Dr. Dietmar Kurze – zunächst, um die Senatorin in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied des Berliner Anwaltsvereins zu begrüßen, später, um dem Arbeitskreis Sozialrecht in seiner Eigenschaft als Co-Sprecher des AK Erbrecht gemeinsames Sitzen vorzuschlagen. In der März-Veranstaltung des AK Sozialrecht fand diese Idee nun ihre erste Umsetzung, und es war Herr Dr. Kurze selbst, der zu diesem Anlass einen Vortrag zum Thema „Erbausschlagung und Haftung im Erbrecht“ für die beiden Arbeitskreise hielt.

Livia Mertens | Betreuerin des AK Sozialrecht | Zweitstudium der Rechtswissenschaft | FU Berlin

WENN DER ERB‘ VOM ERBEN ABLASSEN WILL …

Bereits zu Beginn seines in die Komplexe „Annahme, Ausschlagung und Anfechtung“ und „Erbenhaftung“ unterteilten Referats benannte Dr. Kurze die Perspektive, welche seine sodann folgenden Ausführungen bezüglich des Erbens, aber auch des Vererbens prägen würde: Nicht etwa um den Umgang mit dem Erbglück plötzlich vermögend sich findender Empfänger von Sozialleistungen sollte es gehen, sondern im Schwerpunkt um die Konfrontation mit einer unliebsamen, mindestens teilweise ungelegenen Erbschaft.

„Allen Grundlagen zugrundliegend und doch von entsprechenden Ratsuchenden oft verkannt: Ohne Erbfall erbt sich’s nicht“

Nachdem mit einigen kurzen Vorbemerkungen zunächst einmal sichergestellt war, dass sowohl den auf Erb- als auch den auf Sozialrecht spezialisierten Teilnehmenden die für den weiteren Vortrag relevanten Grundlagen präsent waren – allen Grundlagen zugrundliegend und doch von die Themen des Sitzungsabends betreffend erbrechtlichen Ratsuchenden in offenbar bemerkenswertem Maße verkannt: Ohne Erbfall erbt sich‘s nicht –, wurde es schon mit der Besprechung der Annahme einer Erbschaft, mehr noch gar mit den Ausführungen zum für die Annahmefiktion zu beachtenden Fristenlauf merklich lebhaft im Raum. Nicht nur, weil Herr Dr. Kurze sich die Gelegenheit seiner Darlegungen zur vom Gesetz unter Umständen eingeräumten sechsmonatigen Ausschlagungsfrist nicht entgehen ließ, um – nicht zum ersten und schon gar nicht zum letzten Mal an diesem Abend – mit unüberhörbarem Augenzwinkern in der Stimme darauf aufmerksam zu machen, dass für den Nachweis eines Auslandsaufenthaltes des ausschlagungsgeneigten Erben die Tankstellenquittung, ausgestellt jenseits der Grenze der Bundesrepublik am Tage der Kenntniserlangung der eigenen Berufung, – leider! – nicht (mehr) ausreicht.

„Für die sechsmonatige Ausschlagungsfrist als Nachweis des Auslandsaufenthaltes nicht ausreichend: die jenseits der Grenze ausgestellte Tankstellenquittung“

WISSEN MACHT DIE RUNDE, GANZ KREIS

Denn mehr noch als verschmitzte Hinweise dieser Art waren es die kurzen, aufmerksamkeitserhaltenden Zwischenfragen an die Teilnehmerrunde, welche das Wesen, genauer: die wesentliche Stärke von Arbeitskreistreffen unterstrichen. Indem Herr Dr. Kurze eigene Fragen an seine Zuhörerinnen und Zuhörer richtete, versetzte er diese in die Rolle aktiv Beitragender – auch und gerade weil sich dabei nicht auf das simple Antworten beschränkte wurde, sondern sich im Zuge des Antwortens vielmehr oftmals wiederum Fragen, nunmehr so sehr aus der Runde wie an die Runde gestellt, ergaben. Hierdurch stellte das Arbeitskreisformat wieder einmal das große Potenzial als wahres Forum für allseitig erhellenden Austausch unter Beweis. Redner und Zuhörer – in einer Arbeitskreissitzung, die diese Bezeichnung verdient, beschränken sich die Teilnehmenden nicht darauf, in einer dieser Rollen zu verharren, beschränkt sich auch der Erkenntnisgewinn nicht auf einen Teil im Sitzungsraum.

DIE KUNST DES PRAKTISCHEN

Dr. Kurze vermochte die Dynamik im Saal auch durch die ausdrückliche Praxisnähe seines Vortrags aufrechtzuerhalten: Es ließen sich anlässlich seiner Ausführungen betreffend die – mit Blick auf den Ausgangspunkt des Referats besonders relevante – Ausschlagung im Gespräch mit und unter den Teilnehmenden bestehende Zweifel ob des für die Ausschlagungserklärung örtlich zuständigen Nachlassgerichts ausräumen. Praktischer Natur waren zudem Anmerkungen zur Erforderlichkeit, dem von den Nachlassgerichten teils vorformuliert zur Verfügung gestellten Erklärungstext unbedingt Aufmerksamkeit zu schenken und diesen gegebenenfalls abzuändern, falls mit Unterzeichnung dessen, obgleich im vorliegenden Einzelfall nur das gewillkürte Erbe nicht angenommen werden soll, eine Ausschlagung aus „jedem Grunde“ erklärt würde.
Ob nun zu potenziellen Fallstricken für die wirksame Ausschlagung von Minderjährigen oder Betreuten, zu den Voraussetzungen der Anfechtung einer zuvor wirksam erklärten Ausschlagung oder aber wirksamen Annahme einer Erbschaft, zur Gestaltung von Testamenten zugunsten von Leistungsempfängern, ohne dabei die Erbschaft zulasten deren Leistungsberechtigung gehen zu lassen, oder zu den Maßnahmen, mit denen sich die Haftung des Erben auch ohne Ausschlagung beschränken lässt: Nur selten ließ Herr Dr. Kurze seinen Darlegungen im Abstrakten nicht auch Schilderungen aus der konkreten, der eigenen Praxis folgen. Damit erhielt sein Vortrag die nötige Anschaulichkeit, um den Zuhörenden möglichst eindrücklich im Gedächtnis und hierdurch im Berufsalltag möglichst nachhaltig nützlich bleiben zu machen. Und dass in Dr. Kurze ein erfahrener Fachanwalt für Erbrecht eine so beachtliche Anzahl an Praxistipps für erwähnenswert hielt, lässt insbesondere hoffen, dass dieser erhellende Charakter des Referats sich nicht auf die teilnehmenden Mitglieder des AK Sozialrecht beschränkte.

WER GIBT, DEM SOLL GEGEBEN WERDEN

Nachdem der AK Erbrecht hier nun so bereichernd zu wirken vermochte, wird auch dieser zu dem Zeitpunkt, da diese Zeilen erscheinen, voraussichtlich bereits von der Chance profitiert haben können, im Rahmen der eigenen Mai-Sitzung aus einem Vortrag der Co-Sprecherin des AK-Sozialrecht, RAin Lara Heitmann, über sozialrechtliche Fragen in Folge des Todes von Leistungsempfänger/ -innen zu lernen. An etwaiger Unwürdigkeit wird dies jedenfalls nicht gescheitert sein.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 06/2023 | 72. Jahrgang