Von der Kunst, als Anwalt kein Gewerbe zu betreiben
Lizenzgebühren für die Nutzung digitaler Infrastruktur können als entgeltliche Mandatsvermittlung berufsrechtlich verboten und nichtig sein (BGH vom 18. April 2024 – IX ZR 89/23)
„Die anwaltliche Tätigkeit darf nicht mit der eines Maklers verquickt werden. Die Anwaltschaft ist kein Gewerbe, in dem Mandate „gekauft“ und „verkauft“ werden.“ (BT-Drucks. 12/4993, S. 31). Klingt gut, klingt vernünftig, und so sah es eben der historische Gesetzgeber vor gut 30 Jahren. Begründet werden die beiden Sätze in der Begründung des Gesetzes (BT-Drucks. 12/4993, ab S. 22) „zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte (…)“ allerdings nicht. Das alte Elend der deutschen Gesetzesbegründungen, die oft Behauptungen als Begründungen ausgeben. Nun gut, man kann dennoch damit arbeiten. Denn die Gesetzesbegründung zu § 49b BRAO enthält noch weitere rechtspolitische Nuggets:
Tom Braegelmann, LL.M. | (Benjamin N. Cardozo School of Law, NY) | Rechtsanwalt / Attorney and Counsellor at Law (New York), Annerton Rechtsanwaltsgesellschaft mbH | www.annerton.com
- „Fragen der Vergütung sind sowohl für den Anwalt als auch für den Mandanten von grundsätzlicher Bedeutung, so daß klare gesetzliche Regelungen geboten sind.“ (S. 30)
- „Das bestehende System, (…) kann einen weitgehend gleichen Zugang zum Recht und zu den Rechtsanwälten gewährleisten, weil es nicht von der Finanzkraft der Mandanten abhängt, welcher Rechtsanwalt beauftragt wird.“ (S. 31)
- „Der Verlockung, sich aus wirtschaftlichen Gründen einen „besonders preiswerten“ Anwalt zu suchen, ist das rechtsuchende Publikum nicht ausgesetzt, es kann sich frei von solchen Erwägungen
WENN DER GESETZGEBER TRÄUMT UND DIE REALITÄT DEN TRAUM VER…
Schön wäre es ja. Aber: Sind die gesetzlichen Regeln zur Anwaltsvergütung heutzutage noch klar genug? Gibt es noch einen weitgehend gleichen Zugang zum Recht und zu den Rechtsanwälten? Hängt es nicht in Wirklichkeit doch und längst von der Finanzkraft der Mandanten ab, welcher Rechtsanwalt beauftragt wird?
Ist das rechtssuchende Publikum nicht nur verlockt, sondern oft gezwungen, besonders preiswerte Anwälte aus wirtschaftlichen Gründen (oder mangels anderer Angebote) zu suchen? Kann das rechtssuchende (wo suchen sie das Recht eigentlich? Vor Gericht? Immer weniger, warum auch immer) Publikum sich wirklich frei von solchen Erwägungen für den Anwalt des Vertrauens entscheiden?
Wenn es also nicht mehr so ist? Dann sollte der Gesetzgeber handeln, tut er das nicht, stopft die retrospektive Rechtsprechung die sich auftuenden Lücken. Was ist also dann mit dem Verbot der Vermittlung von Mandaten? Wird es durchgesetzt oder gibt es in der heutigen Digitalität mehr Umgehungen denn je?
DIGITALE MANDATSBÖRSE ODER INFRASTRUKTURANBIETER?
Damit hatte der BGH im konkreten Fall zu tun:
Die Klägerin betrieb ein Internetportal namens „g._____“ (so vom BGH clever anonymisiert, Hinweis: Es war nicht beschwipst.de) für Dienstleistungen rund um verkehrsrechtliche Themen und arbeite dafür mit Partnerkanzleien zusammen, darunter auch die Beklagte. Die Klägerin schaltete diese Kanzleien ein, nachdem die Betroffenen Unterlagen und Vollmachten eingereicht hatten. Die Kanzleien betreuten die Betroffenen rechtlich, prüften die Erfolgsaussichten und gaben Rat. Auf Wunsch vertraten sie die Betroffenen weiter. Die Kanzleien erhielten Vergütungsansprüche, oft gedeckt durch Rechtsschutzversicherer. Die Klägerin berechnete der Beklagten dafür erhebliche „Lizenzgebühren“.
„Die Klägerin behauptete, es handle sich nicht um Auftragsvermittlungsgebühren im Sinne der BRAO, sondern um pauschalisierte Entgelte für die Nutzung ihrer digitalen Infrastruktur“
Die Parteien stritten über die Vereinbarung dieser Abrechnungsmodalitäten. Die Klägerin behauptete, es handle sich nicht um Auftragsvermittlungsgebühren im Sinne der BRAO, sondern um pauschalisierte Entgelte für die Nutzung ihrer digitalen Infrastruktur. Das hat der BGH nicht akzeptiert, sondern stattdessen konstatiert: „Nach dem Vortrag der Klägerin besteht die zwischen den Parteien getroffene Einigung offenkundig in der entgeltlichen Vermittlung konkreter Mandate. Darin liegt ein Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO.“
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat damit entschieden, dass solche Vereinbarungen nichtig sind, wenn sie funktional eben Mandatsvermittlung sind.
DER LEICHTFERTIGE TANZ AUF DEM DÜNNEN EIS DES BERUFSRECHTSOZEANS
Grund, so der BGH:
„Es soll vermieden werden, dass Rechtsanwälte in einen Wettbewerb um den Ankauf von Mandaten treten. Die Anwaltschaft ist kein Gewerbe, in dem Mandate „gekauft“ und „verkauft“ werden (…). Ein Rechtsanwalt, dem ein Mandat vermittelt wird, darf hierfür den Vermittler nicht belohnen (…) Unter einem sonstigen Vorteil ist auch die Erbringung von berufsfremden Dienstleistungen zu verstehen (…) Allerdings bedarf es eines besonderen Bezugs des Vorteils zum vermittelten Auftrag. Das Verbot des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO erfasst nur Provisionszahlungen für ein konkret vermitteltes Mandat (…) Die Vermittlung muss ursächlich für die Vorteilsgewährung sein.“ (BGH, a.a.O., S. 6, Rn. 16)
(…)
„Auf Seiten der Klägerin hat man sich dem Verstoß gegen § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO leichtfertig verschlossen. (…) Die Klägerin kannte das Verbot des § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO und hat sich nach eigenen Angaben intensiv und jahrelang mit dem Provisionsverbot beschäftigt. In Anbetracht der offensichtlich auf die Verschaffung konkreter Mandate ausgerichteten Tätigkeit musste es sich den für die Klägerin verantwortlich handelnden Personen aufdrängen, dass man den Partnerkanzleien nicht in der vorliegenden Art und Weise konkrete Mandate gegen Entgelt vermitteln durfte.” (BGH, a.a.O., S. 11, Rn. 28)
Merke: Intensive und jahrelange Beschäftigung mit dem anwaltlichen Berufsrecht nutzen nicht, wenn man sich seiner Bedeutung leichtfertig verschließt.
VON GUTEN ABSICHTEN UND STRENGEN REGELN, ODER: WIE DER BGH DEN MANDATEHANDEL VERBOT, DIE ANWALTSWERBUNG ABER NAHELEGTE
Aber immerhin, die Klägerin handelte ohne schuldhafte Pflichtverletzung, denn:
„Ersichtlich war man auf Seiten der Klägerin darum bemüht, das Internetportal ohne Verstoß gegen das Provisionsverbot zu betreiben.“ (BGH, a.a.O., S. 14, Rn. 35) Aber es wäre doch anders gegangen, schrieb der BGH als eine Art BRAO-Coach:
„[D]as Verbot [ist] nicht unverhältnismäßig. Die Vermeidung eines Wettbewerbs unter Rechtsanwälten um den Ankauf von Mandaten ist ein legitimer Zweck. Das Verbot ist geeignet, um diesen Zweck zu erreichen. (…) Dessen Auswirkungen auf die grundsätzlich geschützte Akquise Tätigkeit der Rechtsanwälte sind gering. Insbesondere die Möglichkeiten zur Werbung um Mandate bleiben unberührt. Der Rechtsanwalt darf werben und sich zu diesem Zwecke auch der Hilfe Dritter bedienen, soweit er dabei die gesetzlichen Vorgaben beachtet. Davon zu unterscheiden ist der Ankauf von Mandaten. Dabei geht es nicht um anwaltliche (Eigen- oder Dritt-)Werbung, sondern um die Gewährung von Vorteilen für die Vermittlung konkreter Mandate. Es gibt auch keinen notwendigen Zusammenhang zwischen anwaltlicher Werbung und der Vermittlung konkreter Mandate. Die dem Streitfall zugrundeliegende Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien hätte unschwer auch ohne die verbotene Vermittlungstätigkeit ausgestaltet werden können.“ (BGH, a.a.O., S. 8f., Rn. 20)
(…)
„Die Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte beschränkte sich nicht auf die Leistungen herkömmlicher Werbemedien, welche von § 49b Abs. 3 Satz 1 BRAO nicht erfasst werden.“ (BGH, a.a.O., S. 8, Rn. 18)
Mandate sind also keine Handelsware. Die Anwaltschaft ist kein Mandatshandelsgewerbe. So will es der Gesetzgeber und so setzt es der BGH durch. Richtig so. Wenn es die Rechtslage will (ob sie vernünftig ist, durfte der BGH nicht entscheiden). Das gilt auch, wenn man es geschickt als „Nutzung digitaler Infrastruktur“ verbrämt. Netter Versuch, aber der BGH durchschaut solche Tricks! Der BGH erinnert aber dann etwas undeutlich daran, dass es durchaus legale Wege der Mandatsakquise via Werbung gäbe (welche denn? Das sagt der BGH nicht en détail). Man muss sie nur nutzen. Da hätte der BGH ein bisschen mehr zu sagen können.
„Mandate sind keine Handelsware. Die Anwaltschaft ist kein Mandatshandelsgewerbe“
Anwälte müssen also vorsichtig sein, wenn sie mit digitalen (LegalTech-)Plattformen zusammenarbeiten. Was schlicht „Lizenzgebühren“ heißt, kann eine verbotene Provision sein. Am Ende steht die ernüchternde Erkenntnis: Das Internet samt seiner digitalen Infrastruktur und Plattformen ist gar kein berufsrechtsfreier Raum. Wer hätte das gedacht? Die Klägerin jedenfalls nicht, die hatte sich ja berufsrechtliche Überlegungen gemacht, aber die falschen, so der BGH.
EXKURS KANZLEIVERKAUF FÜR FORTGESCHRITTENE: WIE VERKAUFE ICH EINE KANZLEI, OHNE VERSEHENTLICH KANZLEIMAKLER ZU SEIN UND DESWEGEN GAR NICHT VERKAUFEN ZU DÜRFEN?
Was gilt den nun beim Verkauf einer Kanzlei? Ist die Entscheidung dafür relevant? Ist der Kaufpreis nicht teilweise eine versteckte Provision? Nicht ganz: Bestehende Mandate, Mobiliar und Mitarbeiter werden übergeleitet, dafür fließt ein Kaufpreis – aber es wird auch die Chance auf Neubeauftragungen durch bisherige Mandanten vermittelt. Wird hier nicht indirekt die Aussicht auf neues Honorar gegen Provision vermittelt, zumindest in den Fällen, wo ein Kanzleikaufvertrag eine Kaufpreisanpassungsklausel hat, die den Preis je nach zukünftigem Geschäftserfolg erhöht (oder verringert). Gibt es das nicht? Die Allermeisten würden argumentieren, dass § 49b Abs. 3 BRAO für diesen Fall nicht gedacht sei. Das dachte die Klägerin aber für ihren Fall auch. Makler vermitteln doch auch ganze Häuser und Unternehmen – und Anwälte sollen keine Makler sein. Ist der Verkauf einer Kanzlei nicht ähnlich? Nein, dumme Frage? Viele denken, das Berufsrecht regle dies nicht so – aber stimmt das wirklich? Denken sie mal drüber nach. Aber Obacht: Wie der BGH uns zeigt, ist das selbständige langjährige Mitdenken im anwaltlichen Berufsrecht gefährlich und haftungsträchtig, wenn man leichtfertig ist. Hmmm …