Wasserhaushaltsrecht im Wandel
Im Spannungsfeld von Nutzungsinteressen und Umweltschutz
Wasser bildet die Grundlage jeglichen Lebens auf unserem Planeten – sei es für Menschen, Tiere oder Pflanzen. Es ist Lebensraum, Nahrungsmittel, Energiequelle und Produktionsfaktor in Industrie und Gewerbe. Das sich daraus ergebende Spannungsfeld einzuhegen ist eine zentrale Aufgabe des Wasserhaushaltsrechts. Dessen normative Grundlage ist das Wasserhaushaltsgesetz (WHG). Im Folgenden soll in aller Kürze die Entwicklung zum hoheitlichen Wasserbewirtschaftungsregime (A.) sowie zum Bedeutungsgewinn des Umweltschutzes im Wasserhaushaltsrecht (B.) nachgezeichnet werden, bevor einige aktuelle Herausforderungen des Rechtsgebiets exemplifiziert werden (C.).

A. VON DER PRIVATEN KONFLIKTLÖSUNG ZUM ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN BEWIRTSCHAFTUNGSREGIME
Während das frühe Wasserrecht vor allem die Regelung von Nutzungskonflikten zwischen Privatpersonen betraf, entstand im Zuge der industriellen Revolution der Bedarf nach öffentlich-rechtlichen Steuerungsinstrumenten. Mit der zunehmenden Inanspruchnahme von Wasserkörpern wuchs das Bedürfnis einer zentralen Steuerung aus einer (hoheitlichen) Hand. So steht die Gewässerbenutzung heute grundsätzlich unter repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt.1BVerfGE 58, 300 (339) = NJW 1982, 745 (m. Anm. Rittstieg, NJW 1982, 721) = JuS 1982, 852 (Hermann Weber); BVerwGE 160, 334 (339) = BeckRS 2017, 144707; Kloepfer, UmweltR, 4. Aufl. 2016, § 14 Rn. 97 ff., 187 zitiert nach JuS 2021, 122, beck-online. Anders als etwa im Baurecht (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) hat der Eigentümer eines Gewässers also keinen Anspruch auf eine bestimmte Gewässerbenutzung, selbst wenn keine Versagungsgründe auf Tatbestandsebene bestehen. Den Behörden ist insoweit ein großzügiger administrativer Freiraum in Gestalt des Bewirtschaftungsermessens eingeräumt.2Vgl. § 12 Abs. 2 WHG. Gesetzliche Ausnahmen von dieser Systematik bestehen etwa für den erlaubnisfreien Gemein-, Eigentümer- und Anliegergebrauch3§§ 25 ff. WHG. sowie für Benutzungen, die der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Verteidigungszwecken dienen. Darüber hinausgehende Nutzungsrechte werden hingegen über wasserrechtliche Zulassungen (Erlaubnisse und Bewilligungen) gewährt.4Vgl. § 8 WHG.
B. DER BEDEUTUNGSGEWINN DES UMWELTSCHUTZES IM WASSERHAUSHALTSRECHT
Das WHG verfolgt die Ziele der nachhaltigen Wassernutzung einerseits und des Schutzes der Gewässer andererseits, ohne indes eine apriorische Hierarchisierung dieser beiden Ziele vorzunehmen. Tatsächlich haben jedoch vor allem durch europäische Impulse – wie etwa in Form der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)5Richtlinie 2000/60/EG. – ökologische Schutzbelange in den letzten zwei Jahrzehnten eine signifikante Aufwertung erfahren. Die Bewirtschaftung oberirdischer Gewässer muss sich nunmehr allen voran am
- Verschlechterungsverbot (= der ökologische und chemische Zustand des Gewässers darf sich nicht verschlechtern) sowie am
- Verbesserungsgebot (= das Gewässer hat einen guten chemischen Zustand sowie einen guten ökologischen Zustand bzw. ein gutes ökologisches Potenzial zu erreichen) messen lassen.6Vgl. § 27 WHG.
Die Umsetzung dieser Ziele verläuft in der Praxis allerdings eher schleppend. Nach Angaben des Umweltbundesamtes dürften bis Ende 2027 erst 18 Prozent der Gewässer in Deutschland die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie erreicht haben.7„Die Wasserrahmenrichtlinie – Gewässer in Deutschland 2021“, Artikel v. 1.3.2024, Umweltbundesamt (https://www.umweltbundesamt.de/themen/ wasser/wasserrahmenrichtlinie/die-wasserrahmenrichtlinie-gewaesserin- deutschland; letzter Zugriff am 21.4.2025). Die Konflikte zwischen fortbestehender industrieller Nutzung eines Wasserkörpers (zum Beispiel zur Einleitung von Abwasser) auf der einen und ambitionierter Umweltziele auf der anderen Seite auszutarieren, verlangt den Wasserbehörden im Einzelfall umfassende Ermittlungs-, Abwägungsund Steuerungsobliegenheiten ab. Nach dem Umwelt- Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) verbandsklagebefugte Naturschutzorganisationen8Vgl. §§ 2, 3 UmwRG. können zudem die behördliche Entscheidung – etwa solche über die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis – zur Überprüfung vor die Verwaltungsgerichtsbarkeit bringen.
C. AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN DES ÖFFENTLICHEN WASSERHAUSHALTSRECHTS
Regelmäßig im Mittelpunkt der gerichtlichen Auseinandersetzung steht die Frage, inwiefern die konkrete Zulassungsentscheidung den Vorgaben zum Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot genügt. Denn trotz nationaler Wasserstrategie9Vgl. Pressemitteilung des BMUV v. 15.3.2023: https://www.bmuv.de/pressemitteilung/ bundesregierung-legt-grundstein-fuer-modernes-wassermanagement (letzter Zugriff 21.4.2025). und der auf Länderebene ausgearbeiteten Bewirtschaftungspläne ist zu konstatieren, dass das Ziel eines guten ökologischen und chemischen Zustands bzw. guten ökologischen Potenzials, wie es das Verbesserungsgebot vorsieht, voraussichtlich in über 80 Prozent der Gewässer nicht fristgerecht erreicht wird.10Siehe Fn. 7.
Vielmehr befürchten etwa Umweltverbände, dass durch natürliche Änderungen des Wasserhaushalts – etwa zunehmende Niedrigwasserperioden – sogar eine Verschlechterung des Gewässerzustands eintritt, sollten Durchfluss- und Verdünnungseffekte abnehmen.11Vgl. etwa „Auswirkungen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt“, BUND (https://www.bund.net/fluesse-gewaesser/auswirkungen-desklimawandels- auf-den-wasserhaushalt/; letzter Zugriff am 4.5.2025). Aus Sicht von Behörden und Gewässernutzern erlangen die ebenfalls europarechtlich angelegten und in das WHG übertragenen Ausnahmetatbestände so eine zunehmende praktische Bedeutung. So erlaubt es § 30 WHG, für bestimmte Gewässer weniger strenge Bewirtschaftungsziele festzulegen. Ferner kann – wenn auch in deutlich enger zugeschnittenen Fallkonstellationen – nach § 31 Abs. 2 WHG sogar eine vorübergehende Verschlechterung des Gewässerzustands zugelassen werden. In beiden Fällen trifft die Behörde allerdings für das Vorliegen der Abweichungs- bzw. Ausnahmevoraussetzung eine umfassende Prüfungs-, Bewertungs- und Begründungspflicht.12Vgl. etwa Art. 4 Abs. 5 lit. d) WRRL, § 83 Abs. 2 Nr. 3 WHG. Diese erfordert in Teilen Ermittlungen eines Ausmaßes, das die begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen des Hoheitsträgers auf die Probe stellt.
Hinzu kommt, dass sich das wasserrechtliche Prüfprogramm nicht allein auf originär gewässerbezogene Aspekte beschränkt. Denn gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG ist die wasserrechtliche Zulassung (etwa die Erlaubnis zur Einleitung von Abwasser) auch dann zu versagen, wenn andere Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht erfüllt werden. So sind beispielsweise mögliche Verbotstatbestände des besonderen Artenschutzrechts13Vgl. § 44 BNatSchG etwa in Bezug auf Fische, Amphibien oder gewässernahe Insekten in die Erwägungen einzubeziehen. Soweit einschlägig, ist sodann auch hier über die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG zu befinden, um den Weg zur wasserrechtlichen Zulassung zu eröffnen. Dass in einzelnen Konstellationen bereits seit Jahrzehnten zugelassene Vorhaben, etwa im industriellen Bereich, nur noch über die doppelte Zuhilfenahme von Ausnahmevorschriften sowohl im Wasserhaushalts- als auch im Naturschutzrecht gestattet werden können, verdeutlicht den hohen Rechtfertigungsdruck, unter dem die Verwaltung in vielen Konstellationen steht, wenn sie örtlich gewachsene Wirtschaftsstrukturen auch im Zeiten des gestärkten Umwelt- und Artenschutzes sichern will.
Doch auch Fallgestaltungen jenseits der klassischen Dichotomie von Wirtschaft und Umweltschutz werfen neue wasserrechtliche Fragestellungen auf. Exemplarisch dafür steht die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 7 A 7.22 vom 25.5.2023, in der „der Grundsatzkonflikt der Nutzung der Wasserkraft als einerseits klimaverträgliche, weil treibhausgasfreie erneuerbare Energiequelle und andererseits tiefgreifender Eingriff in den natürlichen Wasserhaushalt auszutragen war.“14Reinhardt in NVwZ-RR 2025, 209, beck-online. Obgleich der Gesetzgeber in § 2 des Erneuerbare-Energien- Gesetzes (EEG) anordnet, dass die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen, betonte das Gericht, „dass die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien sich […] nicht zwingend [gegenüber Umweltschutzbelangen] durchsetzen muss.“15BVerwG v. 25.5.2023 – 7 A 7/22 –, BVerwGE 179, 30 – 56, Rn. 43. Entgegen der Tendenz des BVerfG16BVerfG v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30 – 177, Rn. 202. lässt das BVerwG zudem den Einwand gelten, dass die Sicherheit der Energieversorgung nicht mit der unbeeinträchtigten Stromproduktion eines einzelnen Wasserkraftwerks stehe und falle.17Vgl. BVerwG v. 25.5.2023 – 7 A 7/22 –, BVerwGE 179, 30 – 56, Rn. 44. Einen pauschalen Vorrang des Klimaschutzes und der Versorgung mit erneuerbaren Energien gegenüber anderen öffentlichen Belangen, also auch gegenüber dem Umweltschutz, hat das BVerwG damit bisher nicht anerkannt.
„Mit dem revolutionären Paradigmenwechsel von einer wasserwirtschaftlichen zu einer prädominant ökologischen Gewässerbewirtschaftung“18Salzwedel FS für E. Kutscheidt, 2003, 105 (108 f.), zitiert nach Reinhardt in NVwZ 2024, 1305, beck-online. ist das Wasserhaushaltsrecht zu einem Kristallisationspunkt von nicht mehr nur privaten, sondern vielfältigen gesamtgesellschaftlichen Interessen geworden. Diese reichen von Klimaund Umweltschutz bis hin zur Erhaltung Deutschlands als Industriestandort. Strategiepapiere wie die nationale Wasserstrategie der Bundesregierung zeigen zwar, dass sich die Politik der geschilderten Herausforderungen bewusst ist. Für die juristische Handhabe sind derlei Konzeptpapiere indes nur bedingt geeignet. Insofern bleibt abzuwarten, bis Brüssel und Berlin die „gebotene gesetzliche Neuorientierung“19Reinhardt in NVwZ-RR 2025, 209, beck-online. in für den Rechtsanwender nutzbaren Formen liefern. Bis dahin dürften Vorhabenträgern und Verwaltung vielfach nur die Flucht in die Abweichung bzw. Ausnahme verbleiben und damit der Rechtsprechung weitere Gelegenheiten geben, in zu erwartenden umfangreichen Verbandsklageverfahren rechtsfortbildend zu wirken.
- 1BVerfGE 58, 300 (339) = NJW 1982, 745 (m. Anm. Rittstieg, NJW 1982, 721) = JuS 1982, 852 (Hermann Weber); BVerwGE 160, 334 (339) = BeckRS 2017, 144707; Kloepfer, UmweltR, 4. Aufl. 2016, § 14 Rn. 97 ff., 187 zitiert nach JuS 2021, 122, beck-online.
- 2Vgl. § 12 Abs. 2 WHG.
- 3§§ 25 ff. WHG.
- 4Vgl. § 8 WHG.
- 5Richtlinie 2000/60/EG.
- 6Vgl. § 27 WHG.
- 7„Die Wasserrahmenrichtlinie – Gewässer in Deutschland 2021“, Artikel v. 1.3.2024, Umweltbundesamt (https://www.umweltbundesamt.de/themen/ wasser/wasserrahmenrichtlinie/die-wasserrahmenrichtlinie-gewaesserin- deutschland; letzter Zugriff am 21.4.2025).
- 8Vgl. §§ 2, 3 UmwRG.
- 9Vgl. Pressemitteilung des BMUV v. 15.3.2023: https://www.bmuv.de/pressemitteilung/ bundesregierung-legt-grundstein-fuer-modernes-wassermanagement (letzter Zugriff 21.4.2025).
- 10Siehe Fn. 7.
- 11Vgl. etwa „Auswirkungen des Klimawandels auf den Wasserhaushalt“, BUND (https://www.bund.net/fluesse-gewaesser/auswirkungen-desklimawandels- auf-den-wasserhaushalt/; letzter Zugriff am 4.5.2025).
- 12Vgl. etwa Art. 4 Abs. 5 lit. d) WRRL, § 83 Abs. 2 Nr. 3 WHG.
- 13Vgl. § 44 BNatSchG
- 14Reinhardt in NVwZ-RR 2025, 209, beck-online.
- 15BVerwG v. 25.5.2023 – 7 A 7/22 –, BVerwGE 179, 30 – 56, Rn. 43.
- 16BVerfG v. 24.3.2021 – 1 BvR 2656/18 –, BVerfGE 157, 30 – 177, Rn. 202.
- 17Vgl. BVerwG v. 25.5.2023 – 7 A 7/22 –, BVerwGE 179, 30 – 56, Rn. 44.
- 18Salzwedel FS für E. Kutscheidt, 2003, 105 (108 f.), zitiert nach Reinhardt in NVwZ 2024, 1305, beck-online.
- 19Reinhardt in NVwZ-RR 2025, 209, beck-online.

