Wat mutt, dat mutt: Pflaster abreißen!
Was zum Henker ist bitte ein Stitch? – Ein persönlicher Meinungsbeitrag
„Das ist doch lächerlich! Welcher verschwurbelte Hirni schreibt denn bitte unter Klarnamen solche Kommentare! Meine Güte! Aber ich bin ja selber schuld. Warum habe ich damit nur angefangen?“
Ja, solche Gedanken habe ich ab und an, während ich mich morgens mit dem ersten Kaffee über das große Handydisplay mit der irgendwie immer zu kleinen Schrift beuge. Man wird eben nicht jünger, denke ich, während ich die Benachrichtigungen zu neuen Likes und Kommentaren durchgehe und die Abonnentenzahlen checke. Der Ablauf ist dabei stets gleich: zuerst Instagram.

Stephanie Beyrich | Rechtsanwältin | Pressesprecherin der Bundesrechtsanwaltskammer | Autorin | Speakerin und Mentorin bei Legally Female
Da ist meine „Jurabubble“ groß, ich bin mit vielen tollen Menschen vernetzt und es ist zum Einstieg am Morgen noch ein bisschen heile Welt, bevor es dann auf die anderen Plattformen geht. Meist sind die Kommentare freundlich und passen prima zu dem pinkfarbenen Logo des Portals. Ab und an verirrt sich jemand mit einem merkwürdigen oder anwaltsfeindlichen Kommentar. Hass und Hetze sind die Ausnahme. Also mache ich mich ans Beantworten der „Kommis“. Oberstes Gebot! Denn nur Posts absetzen (idealerweise in ausreichender Frequenz und vor allem mit konsequenter Regelmäßigkeit) und dann nicht reagieren, geht gar nicht. Interaktion ist das Zauberwort. Das geht bei „Insta“ leicht von der Hand, denn auf die meisten Kommentare möchte man sogar antworten und man schaut sich auch gern die sehr kreativen und informativen Beiträge der Kolleginnen und Kollegen an.
INSTAGRAM IST EINHORNLAND, TIKTOK IST MORDOR
Das sieht auf TikTok und YouTube schon ganz anders aus. Sobald sich einer meiner Beiträge mit den Themen Frauen in der Anwaltschaft, Rechtsstaat oder gar Migrationsrecht befasst, geht es meist zur Sache. Da muss gelegentlich auch mal gemeldet werden, wenn meine persönlichen Grenzen (oder die meist deckungsgleichen des StGB) überschritten sind.
Doch zurück zur Frage: Warum mache ich das eigentlich? Weil ich dort präsent sein möchte, wo sich meine Zielgruppe aufhält und/oder wo meine Botschaften wahrgenommen werden sollen. Meinen Kanal beschränke ich im Wesentlichen auf die Bewerbung meiner verschiedenen Podcast- und Vodcast-Formate und aufs Netzwerken. Ich wäre aber ebenso auf Instagram, würde ich Mandatsakquise betreiben. Nicht ohne Grund tummeln sich mehr und mehr Anwältinnen und Anwälte auf dieser beliebten Plattform. Die erzielbare Reichweite ist dort – je nach Content – inzwischen mehr als ansehnlich. Je nach Art des Rechtsgebietes, auf dem man tätig ist, kann Instagram im Vergleich zu LinkedIn eine lohnenswerte Alternative sein. Seine Zielgruppe sollte man kennen. Meine Hauptzielgruppe tummelt sich vor allem auf LinkedIn und Instagram. Also bespiele ich beide Kanäle. Meistens täglich. Botschaften in Sachen Rechtsstaat müssen aber dringend auch dort landen, wo meine Bubble noch überschaubar ist: YouTube und TikTok. Zudem kann YouTube auch ohne eigenes Konto konsumiert werden, ist also etwas niedrigschwelliger. Einen eigenen Account brauche ich dort nur fürs Abonnieren oder Kommentieren. Gucken ist sozusagen gratis.
AUTSCH!
Leider wird es auf YouTube und TikTok schnell auch mal ungemütlich. Hilft nichts, denn wat mutt, dat mutt. Also reiße ich das Pflaster direkt nach meinem Instagram- Spaziergang kurz und fast schmerzlos ab und öffne Tik- Tok. Aha. Ich ahnte es. Weil ich etwas zu Artikel 3 GG gepostet habe, bin ich wieder ein Beschützer von mit Bürgergeld finanzierten Messermännern.
DANKE FÜR DIE REICHWEITE
Ich atme ein, ich atme aus und kommentiere: „Danke für den Kommentar, der die Reichweite dieses wichtigen Beitrags erhöht. In der Sache sehe ich das als Fan des GG naturgemäß anders. Danke trotzdem.“ Mit Glück provoziere ich so noch ein bis zwei weitere Kommentare. Und die erhöhen tatsächlich dann die Reichweite, da nicht selten andere Nutzer ins Kommentargeschehen eingreifen.
SO GROSSARTIG, SO SCHRECKLICH!
Was will ich damit sagen? Social Media sind toll und furchtbar. Großartig, weil ich nur dort bundesweit netzwerken kann und über die Grenzen Berlins weit hinaus wahrgenommen werde. Viele Kontakte, die ich um nichts in der Welt missen möchte, sind so entstanden. Und nicht zu vergessen: Die Mehrzahl meiner Gäste am Mikro bzw. vor der Webcam habe ich online entdeckt. Mit vielen von ihnen ist ein dauerhafter und schöner Kontakt entstanden. Aber Social Media sind auch furchtbar und man sollte ein dickes Fell haben. Denn man exponiert sich mit seiner Arbeit, der eigenen Persönlichkeit, seinem Sein und nicht selten auch mit den Gefühlen und Gedanken, die wir zu zeigen bereit sind. Und natürlich findet das nicht jedermann umwerfend gut. Es wird uns sicher auch jemand richtig doof finden und uns das exakt so ungefragt mitteilen. Ich persönlich finde das nicht weiter tragisch, man gewöhnt sich dran. Aber man sollte es auch aushalten können.
„Social Media sind toll und furchtbar“
Eins ist klar: Als Anwältin oder Anwalt mit Beiträgen zu meinem Tätigkeitsgebiet setze ich mich nicht zwangsläufig unhöflicher Kritik aus. Außer natürlich, ich bin Migrationsrechtlerin. Dann bekomme ich dieser Tage aus bestimmten Ecken so oder so Übles an den Kopf. Aber auch als Strafverteidiger, Familienrechtlerin oder einfach als authentische Person, die sich offen zeigt, muss ich mit ungefragtem und teils deutlichem „Feedback“ rechnen. Vielleicht ein kleiner Trost: Es gilt noch immer der Grundsatz, dass es keine schlechte PR gibt, nur PR. Je authentischer ich mich zeige, desto weniger Menschen haben schlicht keine Meinung meine Person betreffend. Die einen finden mich gut, die anderen daneben. Wenn man es schafft, schwindende Gleichgültigkeit als Gradmesser für die eigene Authentizität zu nehmen, lebt es sich damit ziemlich gut.
„Schwindende Gleichgültigkeit als Gradmesser für die eigene Authentizität nehmen; dann geht`s eigentlich“
Das war es jetzt aber auch schon mit den Nachteilen von Social Media! Ich bin ein Freund davon, erst die Risiken zu nennen, denn das dann folgende Positive bleibt viel besser im Gedächtnis. Und die guten Gründe, sich den sozialen Medien zu stellen, überwiegen meiner Einschätzung nach deutlich.
Es ist letztlich völlig einerlei, wie ich beruflich aufgestellt bin: Soziale Medien können eine Säule des eigenen beruflichen Erfolgs sein oder werden. Ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die ihre Mandate fast ausschließlich über Social Media generieren. Die gute alte Mundpropaganda hat heute ausgedient. Menschen informieren sich auch über Dienstleistungen dort, wo sie Testberichte über Handys oder Kaffeemaschinen suchen: online! Andere Kolleginnen und Kollegen nutzen die Plattformen, um sich zu vernetzen und wertvolle Synergien zu erzeugen. Andere, um sich für Fachvorträge oder Publikationsanfragen zu präsentieren. Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt.
ZEIT VERSUS GELD
Bleibt die Frage: Was kostet mich das? Typisch Anwältin: Das kommt darauf an. Ich muss für mich entscheiden, was und wie viel ich wovon investieren möchte. Geld oder Zeit. Wenn ich wenig Zeit investieren möchte, kann ich eine Social-Media-Agentur beauftragen, die mich unterstützt. Davon gibt es einige, auch speziell auf Anwältinnen und Anwälte ausgerichtete Anbieter. Wenn ich bereit bin, Zeit zu investieren, kann die Nutzung von Social Media eine kostenlose Marketingstrategie sein. Auf den Portalen besteht jeweils die Möglichkeit, kostenlose Accounts einzurichten (Verifizierung bzw. blauer Haken auf Instagram ist kostenpflichtig; auch LinkedIn Premium ist ein kostenpflichtiger Dienst). Meiner Einschätzung nach reichen die kostenlosen Varianten vollkommen aus, wenn man sich ein wenig reinfuchst.
WER, WANN, WO?
Die Wahrheit ist: Etwas Zeit muss man schon opfern, damit man einen Nutzen aus den sozialen Medien ziehen kann. Regelmäßige Veröffentlichungen sind ebenso Pflicht wie Interaktion, denn die Welt hat auf niemanden von uns gewartet. Man muss der Welt schon klar machen, warum es gut ist, dass wir hier sind. Eine kleine Zielgruppenstudie kann da sehr nützlich sein. Wer tummelt sich wann wo? Das kann auf den Plattformen ganz unterschiedlich sein. Wenn man eine Weile dabei ist, merkt man das schnell. Ich bespiele derzeit Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok, Mastodon und Bluesky. Die Interaktionszeiten der Community sind hierbei nicht identisch. Also poste ich meist auch zu unterschiedlichen Zeiten. Man kann Content, auch wenn hier die Meinungen auseinandergehen, durchaus auf mehreren Plattformen streuen. Allerdings besser zeitlich gestaffelt.
MAKE A MATCH
Und welche Plattform ist jetzt die richtige? Die einfachste? Die, bei der ich am wenigsten Zeit investieren muss? Ich fürchte, die Antwort ist etwas vage: Alle und keine. Ich würde für den Einstieg am ehesten eine Kombination aus LinkedIn und Instagram empfehlen, sofern die jeweiligen Zielgruppen dort zu finden sind. Um auf You- Tube ein „Big Player“ zu werden, muss man sehr viel Zeit und Mühe investieren. Ich arbeite selbst noch daran. Auf Instagram geht das um ein Vielfaches leichter, wenn man bereit ist, etwas Zeit zu investieren. Gleiches gilt für LinkedIn. Beide Plattformen bieten den Vorteil, dass ich meinem Naturell entsprechend entweder auf eine Kombination aus Bild- und Textbeiträgen oder auf Videoformate setzen kann. Beides ist möglich. Man sollte sich schlicht auf das Medium konzentrieren, das einem leichter von der Hand geht. Bei Bildern kann KI helfen oder schlicht ein wachsames Auge, wenn man ohnehin unterwegs ist. Oft erzielen Beiträge, die Bilder der Verfasser enthalten, bessere Ergebnisse als Textbeiträge mit Motiven, auf denen keine Person zu sehen ist. Ich persönlich setze gern auf Videos. Rasch das kleine Mikro angesteckt und ins Handy gesprochen. Kurze Bearbeitung und KI-Untertitel in einer Videobearbeitungsapp und fertig. Geht blitzschnell, auch unterwegs. Mit ein wenig Routine hat man im Handumdrehen etwas im Kasten.
Auch LinkedIn setzt aktuell verstärkt auf Videoformate und hat einige Anpassungen in der App vorgenommen. Wer sich mit Wort und Foto wohler fühlt, kann damit aber ebenso eine beträchtliche Community aufbauen.
WAS ZUM HENKER IST EIN STITCH?
Für alle, die sich noch nicht mit Social Media vertraut gemacht haben: Der Anfang ist immer etwas schwer. Die Portale haben unterschiedliche Funktionsweisen und sind unterschiedlich aufgebaut, auch wenn es im Groben viele Gemeinsamkeiten gibt. Wer – wie ich – kein Freund von Anleitungsbüchern oder Leitfäden ist, sollte einfach mal herumprobieren. So habe ich es letztlich auch gemacht. Bei Instagram kann man beispielsweise ein privates Konto anlegen. Beiträge können dann nur von Followern angesehen werden. Und solange man keine hat, kann man etwas herumtesten.
„Kennste eine, kennste alle. Denkste!“
Als ich schweren Herzens TikTok auf dem Handy installiert habe, habe ich gar nicht weiter darüber nachgedacht, wie das wohl funktioniert. Kennste eine, kennste alle. Denkste! Die Buttons „Stitch“ und „Duett“ haben mir als TikTok-Noob erst einmal gar nichts gesagt. Ich kam dann aber schnell dahinter. Es ist am Ende eben alles kein Hexenwerk. Und inzwischen habe ich viele Videos, auch Duette und Stiches, veröffentlicht. Auf YouTube dürften es bald um die 600 Videos, auf Instagram deutlich über 1000 Beiträge sein. Man wächst irgendwie rein.
WOHER NUR NEHMEN UND NICHT STEHLEN
Und wann macht man das jetzt bitte? Auch da gibt es kein allgemeingültiges Rezept. So, dass es in den Alltag passt. Viele haben eine richtig ausgetüftelte Content-Strategie. Bestimmte Themen an bestimmten Tagen, abwechselnd Video und Bild-/Textbeiträge, abwechselnd Berichte und Fragerunden. Vieles ist möglich. Man kann sich zum Beispiel feste Blöcke für die sozialen Medien reservieren. Das erscheint logisch, denn es ist schlicht ein Teil der Arbeit. Es ist auch möglich, sich ein paar Stunden am Stück mit der Contenterstellung zu befassen, also vorzuproduzieren und in einem Aufwasch hochzuladen. Das mache ich, wenn es die Zeit zulässt. Der Veröffent lichungszeitpunkt lässt sich nämlich festlegen. Feste Tage nehme ich mir nicht vor, das scheitert an der terminlichen Realität. Ich schaufle mir von Woche zu Woche spontan Produktionsslots frei und komme damit meist gut zurecht. Auch hier ist das Arbeiten eine Frage der persönlichen Vorlieben.
Was allerdings gesetzt ist: täglicher Online-Spaziergang zum Interagieren. Ich mache das meist beim Kaffee. Je nachdem, auf wie vielen Plattformen man vertreten ist, kann das leicht ein bis zwei Stunden am Tag einnehmen. Ein halbes Stündchen sollte man jedenfalls einbringen. Das mag jetzt nach einem hohen Investment klingen, denn Zeit ist Geld. Man sollte aber nicht vergessen: Die beruflich genutzten sozialen Medien sind keine Freizeit, sondern Teil des Arbeitsalltags in der heutigen Zeit. Wer das nicht erbringen kann oder will, dem bleibt die erwähnte Agentur. Gerade für Berufseinsteiger sind die damit verbundenen Kosten aber sicher ein Hindernis. Macht nix, dann muss man eben selber ran. Ebenso, wie man vielleicht als junge Strafverteidigerin Zeit dafür investiert, an Pflichtverteidigungen zu kommen.
TOPSECRET
Jetzt verrate ich noch die ultimativen Geheimtipps! Nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur, dass der Beitrag bis zum Ende gelesen wird, auch wenn bei Artikeln die Verweildauer vielleicht nicht ganz so relevant ist wie bei Podcasts oder Videos. Mein wichtigster Tipp ist eigentlich etwas Selbstverständliches: nicht verstellen, egal, ob man schreibt oder Videos dreht. Echtsein überzeugt, aufgesetzte Show schreckt eher ab. Etwas locker und nahbar aufzutreten kann Wunder wirken. Und in der Regel kommt es sehr gut an – ich weiß, gewöhnungsbedürftig – sich auch mal ein winziges bisschen privat zu zeigen. Nicht zu privat, aber eben einen Hauch. Wer mal bei auf Instagram erfolgreichen Kolleginnen und Kollegen vorbeischaut, wird das schnell merken.
„Echtsein überzeugt, aufgesetzte Show schreckt eher ab“
Und wenn man gar nicht weiß, was man so berichten oder schreiben könnte: Einfach mit den passenden Hashtags mal schauen, was andere so machen. Inspirieren lassen ist immer eine gute Idee, um ein Gefühl für das zu bekommen, was gut ankommt und was nicht. Abkupfern ist dagegen eher tabu. Denn was es schon gibt, gibt es ja schon. Da rennt man nur hinterher, ohne jemals wirklich aufholen zu können.
Am Ende ist es wirklich nicht schwer. Einfach loslegen, einfach machen. Ich hab es auch überlebt!