Wenn Datenschutz, dann nicht allein

Als sich der AK Erbrecht im September dem Thema „Digitaler Nachlass und Datenschutz“ widmete, durfte auch der AK IT-Recht nicht fehlen!

Es gibt sicher viele Gründe, Rechtsanwältin Karina Filusch, LL. M., auch tätig als externe Datenschutzbeauftragte und Dozentin, daneben Podcasterin und Bloggerin (www.dasou.law), für einen Vortrag einzuladen. Der AK Erbrecht im BAV nahm den diesjährig von Frau Filusch in der ZD veröffentlichten Artikel „Sozialdatenschutz verstorbener Personen – Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO i. V. m. § 83 SGB X“ zum Anlass, sie dessen Thematik tiefer- wie auch weitergehend vorstellen zu lassen und seinen Mitgliedern, aber auch jenen des AK IT-Recht die Möglichkeit zu geben, ihre Fragen hierzu diskutiert, bestenfalls gar beantwortet zu finden.

Livia Mertens, studentische Betreuerin des AK IT-Recht | Zweitstudium der Rechtswissenschaft, FU Berlin
Exklusiv für Mitglieder | Heft 12/2022 | 71. Jahrgang

ENGAGIERT – VON BEGINN AN

Die erste Frage des Abends aber stellte die Rednerin daselbst und ließ damit von Beginn der Veranstaltung an keinen Zweifel, dass sie auf die aktive Beteiligung der eben nicht nur aufs Zuhören beschränkten Teilnehmer setzte und diese auch zu motivieren wissen würde: Welcher Anteil an jenen, die Regelungen über ihren Nachlass treffen, denkt dabei auch daran, ihren digitalen Nachlass zu regeln?
Die meisten Antworten der Teilnehmenden stellten sich – auch für die Verfasserin dieser Zeilen – überraschend als zu pessimistisch heraus, rangierten sie doch im unteren einstelligen Prozentbereich. Tatsächlich, so ließ Frau Filusch ihre Zuhörerschaft wissen, sind es nahezu 20 Prozent. Angesichts des Umstandes, dass so gut wie jeder Einzelne von uns wohl eine jedenfalls beachtliche Menge elektronischer Daten – auf Datenträgern, im Internet, in E-Mail-Accounts, auf Cloud-Servern oder in Chats – hinterlassen wird, ist dieser Anteil allerdings noch immer unangemessen gering, was der Rednerin Gelegenheit gab, indem sie kurz auf für jeden leicht umsetzbare Gestaltungsmöglichkeiten testamentarischer Regelungen für digitale und analoge Daten hinwies, zu jenem sich auch dem Fehlen derartiger Verfügungen für den Todesfall ergebenden Problem überzuleiten, mit dem auch sie in ihrer anwaltlichen Praxis sich konfrontiert sieht: ratlose Hinterbliebene, die sowohl über das Ob eines ihnen zustehenden Zugriffs auf die Daten der oder des Verstorbenen im Ungewissen sind, als auch über ein etwaiges Wie – und das in einer Situation, die sich auch ohne diese Fragen für die Betroffenen oft als geradezu überfordernd, emotional wie auch organisatorisch, darstellt. Naheliegend war es auch zunächst das Ob, dem Frau Filusch ihre folgenden Worte widmete – und ihre folgende Vortragsfolie.

Rechtsanwältin Karina Filusch | Foto: Kevin und Lennart Geduhn

EINDRUCKSVOLL ANSCHAULICH

Klarstellen wollte die Rednerin, dass der digitale Nachlass im Erbrecht tätige Rechtsanwender vor große Herausforderungen stellt, ist es doch ein neuer Themenkomplex, dessen angemessene, ebenso zeitgemäße wie grundrechtsfeste Regelung auch für den Gesetzgeber keine leichte Aufgabe ist – und die deshalb, derzeit jedenfalls noch nicht, als diesen Kriterien Genüge tuend gelöst bezeichnet werden kann.

„Zugang und Zugriff auf die Daten von Verstorbenen lassen sich heute durch deren Hinterbliebene erreichen: Die Lösung liegt in der Datenschutzgrundverordnung, insbesondere in Art. 15 DSGVO“

Dennoch lassen sich auch heute schon Zugang und Zugriff auf die Daten von Verstorbenen durch deren Hinterbliebene erreichen: Die Lösung liegt in der Datenschutzgrundverordnung, insbesondere in Art. 15 DSGVO, dessen Nutzen als umfassende Anspruchsgrundlage Frau Filusch wunderbar zu veranschaulichen vermochte: In voller Länge auf der ihre Worte begleitenden Vortragsfolie angeführt, bat sie die Seminarteilnehmer, keine Zeit auf das Lesen des umfangreichen Textes zu verwenden, stattdessen ihren verbalen Ausführungen die Aufmerksamkeit zu schenken – denn nicht den Inhalt des Artikels 5 en détail zu besprechen war ihr Anliegen, sondern zu verdeutlichen, welchen Umfang an Auskunftsrechten allein diese Norm für Betroffene im Anwendungsraum der DSGVO eröffnet und welche Chancen sich daraus auch für etwaige Hinterbliebene dieser Betroffenen ergeben. Die ihr daraufhin entgegengebrachte Verwunderung aus der Runde der Teilnehmenden, die DSGVO gelte schließlich nicht für Verstorbene und könne somit keine rechtliche Grundlage für den Zugriff auf deren Datenhinterlassenschaft bieten, konnte Frau Filusch nicht überraschen – weshalb sie zur Aufklärung dieser Nachfrage allein auf ihren folgenden Vortragsteil zu verweisen hatte.

IM SOZIAL- UND STEUERRECHT IST … MEHR ERLAUBT

Denn tatsächlich, und dies hatte die Rednerin bereits in ihren das Referat einleitenden Worten ausgedrückt, sind es aktuell nur zwei Rechtsgebiete, die Ausnahmen von der ausschließlichen Anwendbarkeit der DSGVO auf Lebende erlauben und somit auch im – nach heutigem Stand – Normalfall des vom Verstorbenen nicht geregelten digitalen Nachlasses Hinterbliebenen zumindest teilweisen Zugang zu diesem ermöglichen: das Sozial- und das Steuerrecht. Hier nämlich hat der deutsche Gesetzgeber von der den Mitgliedstaaten durch die europäische Datenschutzgrundverordnung eingeräumten Befugnis, eigene Regelungen für die Verarbeitung von Daten Verstorbener vorzusehen, Gebrauch gemacht.
Zunächst widmete sich die Rednerin dem Sozialrecht und dessen Zusammenspiel mit der DSGVO, indem sie auf den auch ihrem ZD-Artikel zugrunde liegenden, von ihr vertretenen Fall einging, in dem sie das Einsichtsbegehren eines Hinterbliebenen auf datenschutzrechtliche Auskunft aus der Betreuungsakte bei einem Sozialträger vor Gericht durchzusetzen unternommen hatte, um ihrem Mandanten mit den begehrten Auskünften eine Entscheidungsgrundlage für die Geltendmachung weitergehender rechtlicher Ansprüche gegen den Sozialträger zu geben.

SOZIALDATEN? IN DER DSGVO UNBEKANNT

Nach einem kurzen Vergleich mit der Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO, die Auskünfte über personenbezogene Daten Verstorbener ausschließlich einräumte, wenn diese zwingend waren, um rechtliche Ansprüche geltend zu machen, wandte sich Frau Filusch dem Begriff der Sozialdaten zu, sind diese doch weder mit den in der Verordnung genannten personenbezogenen Daten gleichzusetzen, noch als eine der besonderen Datenkategorien benannt. So sind Sozialdaten denn auch ein Konzept des deutschen Gesetzgebers. Ihre Definition wie auch – zu großem Teile – Regelungen zu ihrem Schutz finden sich im SGB X. Den Auskunftsanspruch ihres Mandanten, also des Hinterbliebenen nach dem Tode der betroffenen, mit ihm verwandten Person, wiederum konnte sie nach § 35 Abs. 2 SGB I auf den – den Teilnehmenden zu diesem Zeitpunkt des Vortrags wohl noch eindrücklich präsenten – Art. 15 DSGVO (i. V. m. § 83 SGB X) stützen.
Dass die vom deutschen Gesetzgeber getroffenen Regelungen – die Verwendung des Begriffs der Angehörigen, dessen Inkongruenz mit dem Erbenbegriff – durchaus Konfliktpotenzial bergen, fiel den Anwesenden selbstverständlich umgehend auf und gab Anlass für regen Austausch ob der Möglichkeiten für dessen Auflösung.

„Nicht die Einstellungsoptionen Sozialer Netzwerke können Erheblichkeit beanspruchen, Vorrang haben und behalten die gesetzlichen Bestimmungen“

Ähnlich lebhaft diskutiert wurde auch die im Nachgang des BGH-Urteils vom 12.07.2018 – III ZR 183/17 bei Sozialen Netzwerken beobachtete Praxis, Nutzer in ihrem Account Nachlassregelungen treffen zu lassen – auch hier muss die vom Nutzer mit Zugriffsrechten ausgestattete Person schließlich nicht mit dem oder den gesetzlich als Gesamtrechtsnachfolger bestimmten Erben identisch sein. Dabei war die Herleitung zwar Gegenstand des Gedankenaustausches, gänzlich unstreitig unter den Teilnehmenden aber war: Nicht die Einstellungsoptionen Sozialer Netzwerke können Erheblichkeit beanspruchen, Vorrang haben und behalten die gesetzlichen Bestimmungen.

WO DER SPASS AUFHÖRT

Sodann kam Frau Filusch auf das Steuerrecht, jedenfalls auf die darin vom deutschen Gesetzgeber geregelte Ausnahme für einen Anspruch auf Datenauskunft nach dem Tode des Steuerpflichtigen zu sprechen, der wiederum auf die Gesamtrechtsnachfolge des oder der Erben und Art. 15 DSGVO (i. V. m. § 32c AO) zu stützen ist. Raum für Diskussion gab es hier nicht: Keiner der Anwesenden verlautbarte Zweifel an der im Eigeninteresse des Gesetzgebers und Steuervereinnahmenden liegenden Motivation für diese Einschränkung des Steuergeheimnisses, das grundsätzlich durchaus auch über den Tod hinaus Wirkung entfaltet: Doch wo die letzte Steuererklärung einer steuerpflichtigen Person noch aussteht, steht ein Steuergeheimnis gegenüber den nun zur Abgabe verpflichteten Erben nun einmal im Wege, deshalb besser zurück.
So sehr die Rednerin aber an diesem Abend für neue Erkenntnisse und klärenden Gedankenaustausch unter den Teilnehmenden hatte sorgen können, so sehr war ihr doch daran gelegen, mit ihren Schlussworten noch einmal klarzustellen: In Fragen des Datenschutzes allgemein und in Fragen des in Zukunft wohl eher zu- denn abnehmenden digitalen Nachlasses des Einzelnen im Besonderen gibt es für Gesetzgeber noch viel zu regeln, für Rechtsanwender noch viel zu klären.