Wenn der Haussegen schief hängt

Mediation als unterschätztes Führungstool in Kanzleien

Wertschätzung gilt heute als Voraussetzung zeitgemäßer Arbeitskultur. Fehlt es an einem wertschätzenden Umgang, steigt die Wahrscheinlichkeit innerbetrieblicher Konflikte. Deren Nichtbearbeitung belastet nicht nur das Arbeitsklima, sondern kann auch rechtliche Relevanz entfalten.1Vgl. BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, wonach die Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei innerbetrieblichen Konflikten Schadensersatzansprüche begründen kann. In der Konsequenz erfährt Mediation (lat.: „Vermittlung“), seit 2012 durch das Mediationsgesetz normiert und in der Mandantenberatung längst erfolgreich als Verfahren zur konstruktiven Konfliktbeilegung etabliert, zunehmend innerbetrieblich an Bedeutung.

Geraldine-Juliane Stenzel | LL.M. | Wirtschaftsjuristin | zertifizierte Krisenkommunikatorin und ausgebildete Mediatorin | Managing Partner der Minerva Strategic Consulting GmbH | www.minerva-consulting.eu

„Längst in der Mandantenberatung erfolgreich etabliert, erfährt Mediation zunehmend innerbetriebliche Bedeutung“

Konflikte in Kanzleiteams stellen keine Ausnahme dar, sondern sind Ausdruck menschlicher Interaktion in einem komplexen beruflichen Umfeld. Die anwaltliche Tätigkeit ist durch hohe Belastung, Wettbewerbsdruck und enge Mandatsfristen geprägt. Vor diesem Hintergrund wirken sich interne Spannungen stark auf Betriebsklima, Mitarbeiterbindung und Leistungsfähigkeit aus. In der Folge gefährden sie die Grundpfeiler jeder erfolgreichen Sozietät: Performanz, Kontinuität und Reputation.

Angesichts eines sich stark wandelnden Arbeitsmarktes, in dem hochqualifizierte Juristinnen und Juristen nicht mehr ausschließlich auf Vergütung oder Mandatsrenommee achten, sondern zunehmend auf eine von Anerkennung und Wertschätzung geprägte Organisationskultur, tritt das Erfordernis eines professionellen Konfliktmanagementsystems (KMS) zutage. So gehören eine angenehme Arbeitsatmosphäre sowie Work-Life- Balance nach der „Randstad Employer Brand Research 2025“ (REBR)-Studie zu den Top-5-Kriterien in Deutschland für hochqualifizierte Fachkräfte.2Randstad Employer Brand Research 2025 Länderreport Deutschland.

MEDIATION ALS KERNKOMPONENTE DES KONFLIKTMANAGEMENTSYSTEMS

Mediationsverfahren sind zentraler Teil eines KMS zur Lösung von Konflikten in Organisationen und Unternehmen. In der Praxis haben sie sich, insbesondere mit Blick auf eine weiterführende Zusammenarbeit, als ein äußerst wirksames Werkzeug etabliert. Mediation verhindert Eskalationen und überführt festgefahrene Kontroversen in einen konstruktiven Lösungsprozess. So treten die Sichtweisen der Konfliktparteien hervor, ohne dass eine Seite ihr Ansehen verliert. Entscheidend ist auch der Charakter des Verfahrens, indem sich Konfliktparteien einander nicht länger als Gegner, sondern als Mitgestalter einer gemeinsamen Lösung wahrnehmen.

„Konfliktparteien sehen einander nicht länger als Gegner, sondern als Mitgestalter einer gemeinsamen Lösung“

KONFLIKTE UM MACHT, WANDEL UND ZUSAMMENARBEIT

Die Bandbreite an Konfliktthemen in Kanzleien reicht von ökonomischen Interessen, Karriereambitionen über Fragen der Work-Life-Balance bis hin zum innerbetrieblichen Umgangston. In der Praxis entstehen Konflikte auf verschiedenen Ebenen:

  • Führungskonflikte drehen sich häufig um die Verteilung von Honoraren, den strategischen Kurs der Kanzlei oder Investitionsentscheidungen.
  • Generationskonflikte entzünden sich an der Frage, ob eine Sozietät den Sprung in die digitale Arbeitswelt wagt oder an den vorgelebten tradierten Strukturen festhält.
  • Teamkonflikte resultieren häufig aus unklaren Zuständigkeiten oder ungleich verteilten Arbeitslasten.

Bleiben Bedürfnisse und Rollen ungeklärt, divergieren Erwartungen rasch. Verstärkt werden solche Konfliktherde durch ausgeprägte Hierarchien. Diese erzeugen Wahrnehmungen von Ungleichbehandlung; so entstehen unter anderem Rivalitäten und Konkurrenzkonflikte, welche die Zusammenarbeit belasten. Ein weiteres strukturelles Defizit liegt in den häufig anzutreffenden autoritären Führungsstilen. In vielen Sozietäten ist zu beobachten, dass Informationen „Top-down“ weitergegeben werden, während Rückmeldungen aus Teams nur eingeschränkt vorgesehen sind. Eine derart unidirektionale Kommunikationsstruktur begünstigt das Entstehen von Missverständnissen und Frustration.

„Mangelnde Führungs- und Konfliktkompetenz senkt langfristig die Produktivität“

Hinzu kommt, dass die juristische Ausbildung, wie viele andere auch, weder methodische Kompetenz im Umgang mit innerbetrieblichen Konflikten vermittelt noch sonstige Führungskompetenzen. Diese mangelnde Führungs- und Konfliktkompetenz beeinträchtigt nicht nur die Zusammenarbeit, sondern fördert auch Demotivation, welche langfristig die Produktivität senkt. Sind solche Muster einmal verfestigt, lassen sie sich regelmäßig nur unter Aufwand und Einbindung externer Unterstützung aufbrechen und nachhaltig verändern.

FÜHRUNGSVERANTWORTUNG, FÜRSORGEPFLICHT UND FREIWILLIGKEIT

Konfliktmanagement gehört zum Kern der Führungsverantwortung und dient zugleich der Erfüllung der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nach § 241 Abs. 2 und § 618 Abs. 3 BGB. Mediation stellt dabei eine geeignete und angemessene Form der Konfliktlösung dar, die diesen Pflichten Rechnung trägt.3Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 19.12.2013 – 10 Sa 375/13, das die Pflicht des Arbeitgebers hervorhebt, Arbeitnehmer vor psychischen Belastungen durch innerbetriebliche Konflikte zu schützen. Eine ausschließlich interne Bearbeitung durch die Führungskraft selbst birgt demgegenüber jedoch das Risiko der Parteilichkeit und kann weitere Zuspitzungen auslösen. Dies führt nicht selten dazu, dass Mitarbeitende, aus Angst vor Repressionen, von einer ernsthaften Konfliktbearbeitung Abstand nehmen. Das Hinzuziehen von unabhängigen Mediatoren kann hier Abhilfe schaffen. Zugleich wird deutlich, dass Führungskräfte regelmäßig einem Dilemma ausgesetzt sind: Einerseits sind sie häufig direkt oder indirekt Beteiligte des Konflikts, andererseits obliegt ihnen die Verantwortung für dessen Lösung.

Ein weiteres Spannungsfeld entsteht daraus, dass Mediation nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 MediationsG auf Freiwilligkeit beruht, während Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verpflichtet sind, an Gesprächen mit ihren Vorgesetzten teilzunehmen. Die Freiwilligkeit der Konfliktparteien, die ein wesentliches Merkmal der Mediation darstellt, kann in diesem Kontext faktisch nicht vollumfänglich gewährleistet werden, da Mitarbeitende gegenüber Führungskräften in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Dieser Interessenkonflikt kann Akzeptanz und Wirksamkeit eines mediativen Verfahrens beeinträchtigen. Wie Greger/ Unberath hervorheben, ist es gerade die Freiwilligkeit und Eigenverantwortlichkeit, die es den Parteien ermöglicht, tragfähige Lösungen jenseits verhärteter Positionen zu entwickeln.4Greger/Unberath, Recht der alternativen Konfliktlösung, 2. Aufl. 2016, § 1 MediationsG, Rn. 33.

Für die Praxis folgt daraus, dass eine unabhängig durchgeführte Mediation ein äußerst erfolgversprechender Lösungsansatz ist, ihre Durchführung jedoch von der Zustimmung beider Konfliktparteien abhängt. Fehlt diese, kommen oft härtere und langwierigere Verfahren wie disziplinarische Maßnahmen oder arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen zum Einsatz.

WIN-WIN-SITUATIONEN ANSTELLE VON GEWINNERN UND VERLIERERN

In der öffentlichen Wahrnehmung wird Mediation häufig mit Nachbarschaftsstreitigkeiten oder familien rechtlichen Trennungsfällen assoziiert. Tatsächlich haben zahlreiche Unternehmen bereits die Wirksamkeit im wirtschaftlichen Umfeld bewiesen und dabei noch weitere Potenziale aufgezeigt, die auch für Kanzleien gelten. Die besondere Stärke liegt in der Verbindung von Vertraulichkeit, Effizienz und Beziehungsorientierung. Während klassische Rechtsverfahren wie Gerichtsverfahren notwendigerweise Gewinner und Verlierer produzieren, zielt Mediation auf Lösungen, die tragfähig sind und eine Akzeptanz auf beiden Seiten ermöglichen. In Kanzleien, in denen partnerschaftliche Strukturen und eingespielte Teams das Fundament bilden, ist der Erhalt dieser Beziehungen von wesentlicher Bedeutung. Wer Mediation nicht nur als Tool zur Konfliktlösung für Mandanten begreift, sondern als Führungsinstrument, stärkt langfristig den Teamzusammenhalt.

REPUTATIONSSCHUTZ UND AUFWANDSBEGRENZUNG

Insbesondere Konflikte auf Partnerebene mit öffentlich ausgetragenen Trennungen können für beide Seiten zu Reputationsschäden führen. Eine rechtzeitige Mediation kann gewährleisteten, dass innerbetriebliche Konflikte nicht nach außen dringen und weder Marktumfeld noch Presse erreichen. Zum anderen ermöglicht sie eine zeitnahe Klärung, die anders als Gerichtsverfahren nicht durch Fristen und Formalia gebunden ist. Auch die ökonomische Effizienz spricht für dieses Verfahren: Eskalationen, jahrelange Prozesse und die damit verbundenen finanziellen wie reputativen und emotional andauernden Belastungen werden vermieden.

GRENZEN VON MEDIATION

So überzeugend die Vorteile sind, die Mediation hat auch Grenzen. Bei Machtmissbrauch oder strafrechtlichen Vorwürfen ist sie nicht das geeignete Instrument. Auch kann sie scheitern, wenn eine oder beide Seiten nicht verhandlungsbereit sind. Mediation ist daher kein Allheilmittel, sondern wesentlicher Teil eines umfassenden KMS, das arbeitsrechtliche Instrumente, Compliance- Strukturen und externe Beratung miteinschließt.

FAZIT

Für Kanzleien lohnt es sich, Mediation als innerbetriebliches Werkzeug einzusetzen. Über die bloße Kostenreduktion bei Rechtsstreitigkeiten hinaus fördert Mediation eine Kultur der Anerkennung und Wertschätzung. Sie wirkt reputationsschützend und eröffnet zugleich Potenziale für organisationales Lernen. Vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel und wachsender Erwartungen der nachkommenden Generationen ist Mediation als Teil eines innerbetrieblichen KMS für Anwaltskanzleien nicht nur ein strategischer Wettbewerbsvorteil, sondern auch ein essenzielles Führungsinstrument, das die Resilienz der Organisation stärkt und sie als attraktiven Arbeitgeber positioniert.

Heft 11 | 2025 | 74. Jahrgang

  • 1
    Vgl. BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 709/06, wonach die Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei innerbetrieblichen Konflikten Schadensersatzansprüche begründen kann.
  • 2
    Randstad Employer Brand Research 2025 Länderreport Deutschland.
  • 3
    Vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 19.12.2013 – 10 Sa 375/13, das die Pflicht des Arbeitgebers hervorhebt, Arbeitnehmer vor psychischen Belastungen durch innerbetriebliche Konflikte zu schützen.
  • 4
    Greger/Unberath, Recht der alternativen Konfliktlösung, 2. Aufl. 2016, § 1 MediationsG, Rn. 33.