Wilhelm Nordemann in memoriam

Ein großer Menschenfreund und Kämpfer für das Urheberrecht

„Du bittest mich, Dir über den Tod meines Onkels zu schreiben, damit Du es möglichst richtig der Nachwelt überliefern kannst. Ich danke Dir; denn ich sehe, seinem Tod wird unsterblicher Ruhm beschieden sein, wenn Du ihn würdig darstellst“, schreibt Plinius in den Epistulae im Buch 6.16 in einem Brief an seinen lieben Freund Tacitus.

Die anwaltlich tätigen Kinder von Wilhelm Nordemann, meine Freunde Anke, Axel und Jan haben mich gebeten, für ihren Vater Wilhelm zur Feder zu greifen. Er war nicht mein Onkel, aber mein Lehrer, und ich fühle mich ihm – seit ich ihn 1994 traf – sehr verbunden, so dass ich der Bitte sehr gern nachkomme.

Prof. Dr. Christian Czychowski | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Informationstechnologierecht | Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht | Nordemann Czychowski & Partner Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mbB | www.nordemann.de 

Er war ein Großer seines Fachs. In Erinnerung bleiben wird er mir und allen, die ihn kannten, als großer Menschenfreund. Er hatte immer ein offenes Ohr, Respekt vor jedem Menschen, egal, welche Stellung dieser innehatte, und war hilfsbereit immer da, wenn man ihn brauchte. Von dieser bewundernswerten Lebenshaltung war schon meine erste Begegnung mit Wilhelm Nordemann geprägt: Mein Jurastudium hatte ich an der Universität Bonn gerade beendet und wollte wegen meines musikalischen Hintergrundes eine Dissertation im Urheberrecht schreiben.

Nur gab es in Bonn keinen Hochschullehrer, der mir dies hätte ermöglichen können. Einer meiner Freunde ermutigte mich, auch bei jemand Berühmtem wie Wilhelm Nordemann anzuklopfen. Ich hatte dies nicht in Erwägung gezogen, denn bei meiner Recherche in der Bonner Universitätsbibliothek zu den verschiedenen Vorlesungsverzeichnissen und Literaturübersichten zum Urheberrecht war mir gleich aufgefallen, dass Wilhelm Nordemann offenbar relativ bekannt sein musste. Denn er hielt nicht nur viele Vorlesungen und gab Seminare, sondern hatte offensichtlich auch vieles publiziert, darunter allen voran den oft zitierten Urheberrechtskommentar Fromm/Nordemann. Als ich mir dann mit einer kleinen Notlüge ein Gespräch mit ihm bei seinem berühmten Montagsseminar an der Humboldt-Universität verschaffte, glich diese erste Begegnung gleich der Essenz dieses Menschen: Sie war von Offenheit, Menschenfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft geprägt, und ich konnte meine Dissertation in Berlin starten.

„Was für ein Leben im Umfeld des geistigen Eigentums und insbesondere Urheberrechts“

Was für ein Leben im Umfeld des geistigen Eigentums und insbesondere Urheberrechts?! Wilhelm Nordemann wurde am 8. Januar 1934 in Halle an der Saale geboren, wuchs in Hannover und der Umgebung von Osnabrück (von ihm immer liebevoll „Muffrika“ genannt) auf. Sein Abitur machte er in Quakenbrück. Wie sich erst später für mich herausstellte, waren diese regionalen Wurzeln schon ein erster Berührungspunkt zwischen uns. Sowohl meine Mutter als auch meine Schwiegermutter kamen aus dieser Gegend Deutschlands. Bei einer Familienfeier der Familie meiner Frau in dem kleinen Dorf Berge wurde ich im Jahr 1997 – ich hatte gerade meine anwaltliche Tätigkeit in der Kanzlei begonnen – von drei älteren Damen gefragt, wo ich denn arbeitete. Als ich nach mehreren Nachfragen, die ich schon erstaunlich fand, da Berlin nun wahrlich weit weg von dieser Provinz war, erläuterte, ich arbeitete bei Wilhelm Nordemann, schallte mit nur entgegen: „Beim Wilhelm, das gibt´s doch gar nicht …“. In der Tat, das gibt´s doch gar nicht – es stellte sich nämlich heraus, dass die Großmutter meiner Frau nach dem Tod ihrer Mutter im Kindbett als halbes Waisenkind auf den Nachbarhof kam – es war der Hof des Onkels von Wilhelm Nordemann. Nach Studien in Göttingen und Tübingen wurde Wilhelm Nordemann in Göttingen promoviert. Die Bezüge zur Universität Göttingen blieben ein Leben lang erhalten und sind auch auf seine Kinder, mittlerweile sogar seine Enkelkinder, übergegangen.

Er beantwortete meine Frage, wie es kam, dass er so offen und menschenfreundlich war, unter anderen damit, was ihm in den 60er-Jahren selbst widerfahren war: Er war nämlich von Friedrich Karl Fromm, einem damals bekannten Anwalt von Künstlern wie Eduard Künicke oder Hans Albers und auch Theaterliterat, selbst sehr offen aufgenommen worden. Fromm hatte ihn nicht nur in seiner prosperierenden Kanzlei, die wegen seiner eigenen schriftstellerischen Tätigkeit auch auf Urheberrecht spezialisiert war, angestellt. Nein, er hatte Wilhelm Nordemann nach dem Referendariat sofort zum Partner gemacht. So prägte Wilhelm Nordemann die Mauerzeit im Urheberrecht Westberlins gemeinsam unter anderem mit Peter Raue; im Grunde genommen waren die beiden Antipoden eines Rechtsgebiets, das immer einen sehr starken Bezug zur Kunst hatte.

Aber das Urheberrecht allein war ihm nicht genug; er wollte immer die heranwachsende neue Generation von Juristinnen und Juristen fördern. Und so hielt Wilhelm Nordemann schon seit Ende der 60er-Jahre Vorlesungen an der Freien Universität. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, nach der Wende die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin mit neu aufzubauen. Noch in seinen Dreißigern wurde er zum Honorarprofessor an der Freien Universität ernannt; einen Titel, den er auch an der Humboldt-Universität innehatte. Es ist bezeichnend, dass er insbesondere ostdeutschen Kollegen beim Übergang in die neue gesamtdeutsche Welt half.

„Er kümmerte sich um die Jungen, wollte ihnen immer alle Möglichkeiten eröffnen und ermutigte sie auch, ihre eigenen Wege zu gehen“

Kürzlich ging eine Mitarbeiterin unserer Kanzlei in den Ruhestand, die Wilhelm Nordemann noch als Auszubildende „angeworben“ hatte, sie war sogar in der Familie Nordemann Babysitterin gewesen. Sie beschrieb bei ihrem Abschied sehr treffend, was Wilhelm Nordemann auszeichnete: „Er kümmerte sich um die Jungen, wollte ihnen immer alle Möglichkeiten eröffnen und ermutigte sie auch, ihre eigenen Wege zu gehen.“ Deswegen verwundert es nicht, dass er über Jahrzehnte in den verschiedensten Prüfungsgremien der Juristerei in Berlin tätig war und sich so um die juristische Nachwuchsausbildung sehr verdient gemacht hat. Ganz zu schweigen von seinen Dutzenden von Doktorandinnen und Doktoranden, die mittlerweile in Deutschland und der Welt das Urheberrecht prägen. Das zeigt sich nicht zuletzt an zwei Festschriften, die erste nur von seinen Schülerinnen und Schülern zum 65. Geburtstag, die zweite als wissenschaftliche Publikation mit der ganzen Breite seiner fachlichen Tätigkeit im Jahr 2004.

Im und um das Urheberrecht war er wie kaum ein anderer Praktiker in Deutschland tätig. So war er Mitglied der Sachverständigenkommission Urheberrecht beim Bundesministerium der Justiz. Vor allen Dingen aber war er einer der fünf Mitverfasser des sogenannten Professorenentwurfs, mit dem die damalige neue Bundesregierung aufgefordert wurde, das Urhebervertragsrecht zu Gunsten der Urheber zu novellieren. In der Antwort der Bundesregierung auf eine Großen Anfrage einzelner Abgeordneter des Deutschen Bundestages wird der Professorenentwurf gar als „(noch) nicht Referentenentwurf“ bezeichnet (BT-Drucks. 14/6426 v. 26.6.2001). Tatsächlich kam es im Jahr 2002 zu der bekannten Urhebervertragsrechtsnovelle, die insbesondere den § 32 und § 32a UrhG einführte. Das war nicht zuletzt das historische (Mit-)Verdienst von Wilhelm Nordemann. Man mag zur Reform stehen, wie man möchte, historisch war das Verdienst für die Urheberinnen und Urheber allemal. Es ging nicht zuletzt zurück auf einen Artikel, den Wilhelm Nordemann im Jahre 1991 auf Seite 1 der GRUR genau zu diesem Titel veröffentlichte. Er wusste mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gerhard Schricker, Prof. Dr. Dr. h.c. Adolf Dietz, Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Loewenheim und Dr. Martin Vogel vier führende (wissenschaftliche) Urheberrechtler an seiner Seite. Das war aber schon in der Spätphase seines Schaffens; schon von Anbeginn an war er für Urheberinnen und Urheber „unterwegs“. So hat er 1968 die Gründung der VG Bild-Kunst mit betrieben, hat den Verband Deutscher Schriftsteller aus der Taufe gehoben und sich auch außerhalb des Rechts für die Kultur eingesetzt: Er war Mitbegründer der Berliner Theatergemeinde und vielfach in Fördervereinen aktiv. Darüber hinaus war er im Verwaltungsrat der VG Wort für die Schriftstellerinnen und Schriftsteller tätig, die er im Verband Deutscher Schriftsteller beriet, und auch für die deutschen Komponisten in den Aufsichtsräten der GEMA. Schließlich war er Justiziar des Komponistenverbands, der Dramatiker Union und des deutschen Lehrmittelverbandes.

In einer Zeit, in der Urheberrecht noch sehr national betrieben wurde, dachte Wilhelm Nordemann bereits international: So war er nicht nur Mitglied im Comité Exécutif der ALAI, der Internationalen Urheberrechtsvereinigung, die immerhin 1878 von Victor Hugo gegründet wurde. Er war auch der Erste, der einen Kommentar zum Internationalen Urheberrecht, nämlich vor allem zur Revidierten Berner Übereinkunft, herausgebracht hat, gemeinsam mit Dr. Kai Vinck, Prof. Dr. Paul W. Hertin und Gerald Meyer, genannt schlicht und ergreifend „International Copyright and Neighboring Rights Law – Commentary with Special Emphasis on the European Community“. Auch die mehr als ein Dutzend lange Reihe internationaler Urheberrechtlerinnen und Urheberrechtler, die zum über 200-seitigen Kapitel II „Ausländisches Recht“ seiner zweiten Festschrift beisteuerten, mag Beleg genug sein für sein kosmopolitisches Leben. Darunter so illustre Namen wie Jane Ginsburg, eine der führenden Urheberrechtlerinnen der USA und Tochter der berühmten Supreme Court Richterin Ruth Bader Ginsburg. Seine Aufsätze und sonstige Veröffentlichungen sind Legion und können hier alle gar nicht aufgezählt werden.

Erwähnt aber werden muss auch, dass er die wirklich Großen der Kulturszene beriet und vertrat. Im Tagesspiegel vom 26.8.2007 heißt es in einem Artikel von Stephan Haselberger: „Als im Januar 1983 bei den Berliner Philharmonikern ein Streit eskalierte, verhärteten sich nach dem Ausbruch die zerstrittenen Seiten wie erkaltende Lava. Es war, sagen die Überlebenden, die größte Erschütterung im Orchester seit seiner Gründung. Die Kommunikation geriet erst mit dem Einsatz eines Mediators, der zwischen dem Orchester, dem Dirigenten und dem Intendanten vermittelte, wieder in Fluss.“ Der Mediator war Wilhelm Nordemann. Andere waren die Erben Böll sowie die Erben Beuys; Schriftverkehr mit Golo Mann und den Erben Manns ist im Internet recherchierbar. Er hat sogar Marlene Dietrich getroffen, wenn auch nur auf der Avenue Montaigne in Paris in einer Telefonzelle stehend, während sie oben in ihrem Appartement hinter Vorhängen verborgen blieb. Sie schickte ihm gar Rosen mit der handgeschriebenen Karte „Für Wilhelm – Deine Marlene“. Und so könnte man die Erzählung fortsetzen.

„Sein Herz schlug immer für die Urheberinnen und Urheber“

Sein Herz schlug immer für die Urheberinnen und Urheber. So war es für den Verfasser dieser Zeilen eine große Ehre und sehr lehrreiches Unterfangen, in einem jahrelangen Rechtsstreit mit einem Comic-Verlag mitgenommen zu werden, der in die Entscheidungen Comic-Übersetzungen I–III des Bundesgerichtshofs mündete. Und wie viele Bundesgerichtshofsentscheidungen zum Urheberrecht auf seine Prozessvertretung in den ersten Instanzen zurückgehen? Musikverleger I und II seien hier genannt, in denen er dem Komponisten Willi Kollo gegen seinen Musikverleger half oder Musikverleger III, die eine Kündigung von Verlagsverträgen durch Udo Jürgens berührte, aber auch Quizmaster, die Entscheidung des BGH, mit der er Hans Rosenthal (Dalli Dalli) zum ausübenden Künstlerstatus verhalf. In Puccini/La Bohème ließ er sogar tote Komponisten schutzdauerrechtlich „wiederauferstehen“. Und schon lange vor dem derzeitigen Evergreen des Urheberrechts, der Entscheidungsserie Metall auf Metall von BGH und EuGH, beschäftigte ihn das Verhältnis der Kunstfreiheit zum Urheberrecht in dem Rechtsstreit, der als Germania 3 in die Urheberrechtsgeschichte einging. Bei all den beruflichen Herausforderungen und Belastungen stand er wie ein Fels in der Brandung. Das war nicht zuletzt seinem evangelischen Glauben zu verdanken, in dem er ruhte. Dieser war ihm, der nicht nur vier leibliche Kinder hatte, sondern mit seiner viel zu früh verstorbenen ersten Frau auch ein weiteres Kind adoptierte, ebenso ein Zentrum wie seine Familie, auch mit seiner zweiten Ehefrau. Nicht zuletzt diese Lebenseinstellung ermöglichte es, dass seine Kinder sein Erbe fortführen, und es auch für Familienfremde wie mich nicht nur eine Ehre, sondern auch eine große Freude ist, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Unvergessen wird er mir aber auch wegen seines unnachahmlichen Witzes und Humors bleiben. Skurrile Situationen in Mandatsbesprechungen eingeschlossen, aber auch Korrespondenz, die ihresgleichen sucht. Im Zeitalter der heutzutage immer kürzeren E-Mail-Kommunikation hatte er bereits in den 90er-Jahren Briefwechsel mit Mandanten, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig ließen. Einer schrieb: „Sollen wir klagen?“, der andere antwortete nur: „Ja!“, oder aber ein Fall, bei dem sich ein Mandant, Kulturdezernent einer deutschen Großstadt, nach Lösung eines Falls bei ihm bedankte mit den Worten: „Lieber Herr Nordemann, herzlichen Dank, dass Sie diese Kuh vom Eis geholt haben, aber Ihnen darf ich das so sagen: Ich bin mir sicher, es steht dort noch eine ganze Herde Schlange!“

In eben diese Schlange reihe ich mich ein und verneige mich vor Dir, lieber Wilhelm, und danke Dir von Herzen für alles, was Du uns hinterlassen hast und mir beigebracht hast!

Heft 03 | 2024 | 73. Jahrgang