„Zeitmanagement für die Anwaltschaft“
Veröffentlichung von Heussen/Jacobi
im C.H.Beck-Verlag in der 5. Auflage
Das Buch „Time-Management für die Anwaltschaft“ ist ein Klassiker. Es wurde 2002 von Prof. Benno Heussen, Rechtsanwalt in Berlin und München, begründet und seit der 4. Auflage von der Berliner Rechtsanwältin Dr. Jessica Jacobi mitbearbeitet. Ende November 2023 wird die 5. Auflage erscheinen.

Dr. Astrid Auer-Reinsdorff | Rechtsanwältin Berlin & Lissabon | Fachanwältin für Informationstechnologierecht
Frau Dr. Jacobi, wieso benötigen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen ein spezielles Buch für ihr Zeitmanagement?
Zeitmanagement benötigt man in jedem Beruf und auch außerhalb eines bezahlten Berufs. Die Besonderheit in der Anwaltschaft besteht darin, dass unser Beruf durch viele fremdbestimmte Fristen und Termine geprägt wird. Ohne ein vernünftiges Zeitmanagement wird man diese Fristen und Termine nicht alle einhalten können oder man wird sie einhalten, dabei aber für sich selbst und für das gesamte Team maximal viel Stress produzieren. Auch die Qualität der juristischen Arbeit wird deutlich verbessert, wenn man über wichtige Dinge in Ruhe nachdenken kann, ohne sich mit unwichtigen Nebenfragen zu verzetteln.
Wir gehen in dem Buch auf spezielle Situationen im Anwaltsberuf ein, so etwa die Fertigstellung eines umfangreichen Gutachtens, die Vorbereitung auf Gerichtsverhandlungen oder die Nutzung von kanzleiinternem Knowledge-Management. Das Buch richtet sich an die Rechtsanwältin in der Großkanzlei ebenso wie an den Einzelanwalt ohne Mitarbeiter.
„Auch die Qualität der juristischen Arbeit wird deutlich verbessert, wenn man über wichtige Dinge in Ruhe nachdenken kann, ohne sich mit unwichtigen Nebenfragen zu verzetteln“
Können Sie mit uns drei wesentliche Ratschläge für besseres Zeitmanagement im Anwaltsberuf teilen?
Sehr gern. Der wichtigste Ratschlag im Zusammenhang mit dem Zeitmanagement ist aus meiner Sicht zu überlegen, für welche Tätigkeiten man seine Lebenszeit nicht ausgeben möchte. Es gibt nämlich immer mehr zu tun, als Lebenszeit verfügbar ist. Deshalb muss man manchmal unangenehme Entscheidungen treffen und zu Veröffentlichungsprojekten, Pro-Bono-Mandaten oder auch außerberuflichen Aktivitäten wie dem Hockeytraining jeden Samstag Nein sagen können.
Der nächste Ratschlag ist es, jeden Tag wenigstens in seinen Grundzügen durchzuplanen. Dabei sollten längere Zeitblöcke für wichtige Projekte zur Verfügung stehen, in denen man möglichst ungestört auch über schwierige Fragen nachdenken kann. Dazwischen ist genügend Raum für unvorhergesehene Themen oder Mandatsaufträge zu belassen.
Als Drittes würde ich jedem empfehlen, seinen eigenen Arbeitsstil herauszufinden und weiterzuentwickeln. Es gibt Menschen, die gern im Team arbeiten, andere arbeiten lieber allein. Genau so gibt es den Early Bird und die Night Owl, siehe auch die unten abgebildete Grafik. Wer am Vormittag seinen Leistungshöhepunkt hat, sollte um diese Uhrzeit seine Schriftsätze schreiben oder diktieren. Wer eine Nachteule ist, verbringt vielleicht besser die Abendstunden mit schwierigen Schriftstücken.
Unterscheidet sich das erforderliche Zeitmanagement nicht auch je nach Art der Mandate? Ein Privatmandant, der sich gerade in der Scheidung befindet, wird mich vielleicht häufig am Wochenende auf dem Handy anrufen, während der Leiter der Rechtsabteilung eines großen Unternehmens wahrscheinlich frühestens Montagvormittag eine E-Mail an mich versenden wird, wenn er eine Frage hat.
Richtig, da gibt es deutliche Unterschiede. Einige Kanzleien sind ausschließlich auf die Beratung von Individualmandaten, andere vielleicht ausschließlich auf die Beratung von Unternehmen spezialisiert. Im Buch gehen wir auf beide Arten von Mandanten ein und unterscheiden zwischen der eher routinierten Zusammenarbeit mit der Personal- oder Rechtsabteilung im Konzern, der Zusammenarbeit mit dem Mittelständler oder dem Startup- Unternehmen sowie dem Individualmandat. Wichtig ist aus meiner Sicht, sich zunächst selbst zu überlegen, wo die eigenen (vielleicht auch familiär bedingten) zeitlichen Grenzen der Erreichbarkeit sind und diese Grenzen dann freundlich und transparent zu kommunizieren, wenn auch nicht unbedingt unter ausdrücklichem Hinweis auf diese familiären Gründe.
Welche Hilfsmittel empfehlen Sie den Lesern und Leserinnen, um sich besser zu organisieren?
Gute Frage. Prof. Heussen war und ist ein „early adopter“ von neuen Technologien, und hat schon in frühen Auflagen die Nutzung eines elektronischen Taschenkalenders empfohlen, damals waren das Palm Pilots und später Blackberrys, außerdem natürlich einen Computer. Laptops unterwegs hat er selbst nicht verwendet, sondern sich Lesematerial in ausgedruckter Form mitgenommen (auch das ein wichtiger Tipp, Lesematerial und kleinere Aufgaben für Wartezeiten und kürzere Lücken mitzunehmen, in denen es sich nicht lohnt, etwas Größeres anzufangen).
Heute hat vermutlich fast jeder Anwalt einen Laptop und ein iPhone oder Android, und kann auf beiden Geräten seine E-Mails empfangen und seine Dokumente bearbeiten. Viele Kanzleien haben weiterhin Papierakten, jedenfalls für einzelne Teilbereiche, wie zum Beispiel Rechtsstreitigkeiten. Wie man sich also nun am liebsten in seiner Arbeit organisiert, ist erst einmal von den technischen Rahmenbedingungen abhängig, die die Kanzlei sich geschaffen hat. Ich persönlich bin sehr glücklich über die großen Bildschirme, die wir auf dem Schreibtisch haben, und habe einen solchen auch zu Hause im Home Office. Und ich verwende schon seit vielen Jahren tagtäglich ein „Yellow Legal Pad“, einen linierten gelben Block, auf dem ich in Telefonaten mitschreibe, Sachverhalte gliedere oder über Rechtsfragen nachdenke.
Sie sind Mutter von drei Kindern und Anwältin. Wie hat das Ihr persönliches Zeitmanagement beeinflusst?
Ich glaube, dass Zeitmanagement insbesondere für Eltern von kleinen Kindern unerlässlich ist, wenn diese neben der Familienarbeit einen Beruf ausüben wollen. Nur so schafft man es, beiden Bereichen des eigenen Lebens ausreichend Raum zu geben, ohne dass täglich während des Kinderabendessens ein beruflicher Anruf eingeht, und ohne dass man allzu oft tagsüber mit familiären Themen bei der Arbeit unterbrochen wird. Welches die richtige Balance zwischen der Erziehung der eigenen Kinder und der Ausübung des eigenen Berufs ist, muss jede Anwältin und jeder Anwalt für sich selbst entscheiden. Ich meine, da gibt es kein Falsch oder Richtig. Deshalb haben wir uns im Jahr 2021 im Rahmen der Gesetzesinitiative „#stayonboard“ dafür eingesetzt, auch Organmitgliedern, wie zum Beispiel GmbH-Geschäftsführerinnen die Entscheidung zu ermöglichen, nach bedeutenden familiären Ereignissen wie z.B. der Geburt eines Kindes eine Auszeit nehmen zu können.
Ich persönlich habe immer gern gearbeitet, auch nachdem ich Mutter geworden bin, wenn auch lange Jahre in Teilzeit. Es hilft natürlich, wenn man sich Hilfsstrukturen leisten kann und nicht jede Abholrunde im Kindergarten selbst wahrnehmen muss. Vor allem aber ist es aus meiner Sicht unerlässlich, in der dann notwendigerweise begrenzten Arbeitszeit produktiv zu sein, was eine erhebliche Organisiertheit voraussetzt.
Wo finden Sie die Zeit, neben Beruf und Familie noch ein Buch zu schreiben?
Ich glaube, wenn mich das Thema nicht wirklich sehr bewegt hätte, hätte ich mir die Zeit gar nicht genommen. So habe ich immer mit viel Vorlauf andere Bücher zum Thema gelesen (absolut empfehlenswert, nicht nur für Anwälte: „4000 Weeks. Time Management for Mortals.“ von Oliver Burkeman) und sonstige Anregungen gesammelt. Wirklich geschrieben habe ich vor allem in Randzeiten und Reisezeiten, abends am Schreibtisch oder am Wochenende im Zug. Diese Zeilen schreibe ich zum Beispiel morgens im Taxi auf dem Weg ins Büro. Weil ich zu unserem Büro in Berlin-Mitte oft eine Dreiviertelstunde brauche, ist es für mich ökonomischer, ein Taxi zu nehmen und die Zeit zum Arbeiten zu nutzen.
Das Thema „künstliche Intelligenz“ ist derzeit in aller Munde. Wird sich die KI auf das Arbeitsleben und das Zeitmanagement von Rechtsanwälten und -anwältinnen auswirken?
KI wirkt sich schon jetzt ständig in unserem Leben aus und spart uns Zeit. Wir haben zum Beispiel vor einigen Jahren noch Arbeitsverträge oder Schriftsatzentwürfe für internationale Mandanten händisch übersetzt. Inzwischen schafft die KI qualitativ gute Übersetzungen, die man nur noch nachsteuern muss. Mittelfristig sehe ich weitere Erleichterungen. Vielleicht kann die KI uns auch eines Tages den idealen Tagesablauf vorgeben, unter Berücksichtigung von festen Terminen, anstehenden Aufgaben und Fristen sowie der maximal verfügbaren Zeit? Wichtig für uns Anwälte ist natürlich, bei Mandanteninformationen auf den Datenschutz zu achten.
Letzte Frage: Was empfehlen Sie unseren Lesern, die bislang um das Thema einen großen Bogen gemacht haben, nun aber in ein organisiertes Zeitmanagement einsteigen möchten?
Es gibt im Buch ein extra Kapitel dazu: „Der Sprung ins Zeitmanagement“. Im Prinzip empfehlen wir, sich einmal am Wochenende hinzusetzen, Kassensturz bei den anstehenden Aufgaben zu machen und die kommende(n) Woche(n) in groben Blöcken im Kalender zu planen. Wichtig ist aber auch, sich nicht verrückt zu machen. Wenn man aus dem Buch nur einige der Tipps umsetzt, wird man sich damit das Leben deutlich erleichtern.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Jacobi!