Zugang zum Recht – Zwei Dissertationen

Von Charlotte Maria Flory und von Katharina Engler Flory.

Charlotte Marie, Grenzen inkassodienstlicher Rechtsdienstleistungen Berufsrechtliche und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen von Online-Plattformen ISBN-13 978-3-8487-8951-1 Nomos Verlag 2022, 1. Auflage
Engler, Katharina, Die Bedeutung der unechten Legal Tech-Sammelklagen für den kollektiven Rechtsschutz ISBN 978-3-7489-3155-3 Nomos Verlag 2022, 1. Auflage

Die Autorinnen haben in ihren Dissertationen unabhängig voneinander zwei auf den ersten Blick unterschiedliche Themen behandelt, die sich aber ergänzen und für Berufsrechtler und Berufspolitiker zur Pflichtlektüre gehören sollten. Es geht um das schon etwas strapazierte Thema „Zugang zum Recht“, aber in beiden Dissertationen werden Phänomene behandelt, die entstanden sind, weil der Gesetzgeber sich lange geweigert hatte, die verändernde Realität zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu reagieren.

Markus Hartung | Rechtsanwalt und Mediator in Berlin | www.markushartung.com

Charlotte Flory behandelt in der Kölner Dissertation das Phänomen sowie die Grenzen inkassodienstlicher Rechtsdienstleistungen. Vor einigen Jahren, also vor Flightright und wenigermiete, hätte ein solches Thema niemanden interessiert. Die Inkassobranche hat traditionell keinen besonders guten Ruf, allerdings änderte sich das in dem Moment, als findige Juristen Dienstleistungen auf Basis innovativer Software und auf dem rechtlichen Fundament einer Inkassolizenz anboten und für Tausende von Verbraucherinnen und Verbrauchern endlich eine Möglichkeit geschaffen war, ihre oft kleinteiligen Rechtsansprüche, für die sich kein Anwalt fand, bequem und risikolos durchzusetzen. Dass Verbraucher im Erfolgsfall eine Provision zahlen müssen, nehmen sie als Ausgleich dafür, dass sie im Misserfolgsfall nichts zahlen müssen, gern in Kauf. Flory behandelt eingehend und gut lesbar die Rechtsfragen, die mehrere BGH-Senate beschäftigt haben, die wiederum alle im Sinne eines besseren Verbraucherschutzes die Beinfreiheit der LegalTech-Inkassounternehmen erweitert haben. Sie unterbreitet einen eigenen Regulierungsvorschlag, der nicht weit weg von dem ist, was später dann Gesetz wurde. Das ist nicht der große Wurf, allerdings ein Kompromiss, mit dem sich viele haben anfreunden können.

Engler behandelt in ihrer Dissertation die „unechten“ Sammelklagen. Bekanntlich gibt es im deutschen Recht keine echten Leistungssammelklagen, sondern nur die unbehelflichen Musterfeststellungsklagen. Diese „unechten“ Sammelklagen gehören zum LegalTech-Inkasso, weil es quasi die Geschwister von Flightright waren, die im Dieselskandal Ansprüche sammelten und sie zu einer virtuellen Sammelklage bündelten, mit dem Angebot an die Geschädigten, im Fall eines Misserfolges keine Kosten tragen zu müssen. Gerichte mussten sich plötzlich mit Klagen befassen, in denen Tausende ähnliche Ansprüche geltend gemacht wurden. Dafür war und ist sie nicht vorbereitet. Die Justiz muss hier die Versäumnisse des Gesetzgebers ausbaden, der sich seit vielen Jahren nicht in der Lage gesehen hatte, Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes zu schaffen. Genauso wenig gab es taugliche Instrumente für die Geltendmachung von Streu- und Bagatellschäden. Das führt aber eben dazu, dass innovative Menschen Umwege finden, um Geschädigten zu helfen. Englers Buch ist so lesenswert, weil es aus ihrer praktischen Arbeit als Richterin entstanden ist – in Hamburg war sie mit der Aufsicht über Rechtsdienstleister betraut. Das merkt man dem Buch an, denn sie weiß nicht nur theoretisch, worüber sie schreibt.

Beide Autorinnen verfolgen ihre Themen weiter. In Heft 01/2023 der LTZ (Zeitschrift für die digitale Rechtsanwendung) haben beide jeweils einen Beitrag verfasst – Flory zu den Entwicklungen nach Verabschiedung des LegalTech-Gesetzes, Engler über die Abhilfeklage, mit der erstmals so etwas wie eine Leistungssammelklagemöglichkeit geschaffen wird. Wer also keine Zeit für die Lektüre zweier vorzüglicher Dissertationen aufwenden kann, sollte sich die beiden Beiträge heraussuchen, um auf Stand zu bleiben (oder zu kommen).

Exklusiv für Mitglieder | Heft 07/08 | 2023 | 72. Jahrgang