„Zuhören – Mitreden“: Berliner Blick auf die Energiekrise

Das Energierecht im Wandel. Eine Diskussion über den Einfluss der Klimaziele und des Ukrainekriegs

Am 21. Februar wurde im Rahmen der Reihe „Zuhören – Mitreden“ die Energiekrise aus dem Berliner Blickwinkel betrachtet. Moderiert von Dr. Malaika Ahlers, Energierechtsanwältin und Partner Counsel bei Becker Büttner Held, diskutierten Dr. Jörg Lippert, Leiter Technik, Energie, Klima, BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V., und Andreas Koch, Teamleiter Quartier & Stadt, Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), über die Herausforderungen, die sich im Angesicht der Energiekrise für die Wohnungswirtschaft stellen. Hierbei sollte vor allem die Berliner Perspektive betrachtet werden.

Tim Neumüller | Rechtsanwalt bei Becker Büttner Held | www.die-bbh-gruppe.de

VIELE NEUE VERWIRRENDE GESETZE UND VERORDNUNGEN IN KÜRZESTER ZEIT

Dr. Ahlers, BBH, stellte einleitend fest, dass in kürzester Zeit viele neue Gesetze und Verordnungen im Bereich Energierecht auf Bundesebene erlassen worden sind, wodurch schnell der Überblick verloren gehen kann. Um nicht abgehängt zu werden, hilft es, wie bei allen Regelungen, die Frage zu stellen: Was bezweckt der Gesetzgeber mit den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen?

„Um nicht abgehängt zu werden, hilft es, wie bei allen Regelungen, die Frage zu stellen: Was bezweckt der Gesetzgeber mit den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen“

Im Fall der Gesetze und Verordnungen, die die Wohnungswirtschaft direkt betreffen, lautet die Antwort: Entlastungen schaffen und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern minimieren.
Vermieter*innen gelangen hierbei aber in eine völlig neue Rolle. Insbesondere vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben sie zwar die Energielieferverträge geschlossen, aber alle daraus folgenden Kosten schlicht 1:1 an die Mieter*innen weitergegeben. Nun folgen aus den neuen Rahmenbedingungen konkrete Pflichten: Umsetzung der Aufteilung der CO2-Kosten nach dem neuen Kohlendioxidkostenaufteilungsgesetz (CO2KostAufG) je nach Verursachungsbeitrag seit diesem Jahr auf Vermieter*innen und Mieter*innen, Informationspflichten und Verpflichtung zur Auszahlung der Soforthilfen nach dem Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz (EWSG), Informationspflichten und Weitergabe der Entlastung nach dem Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (EWPBG) sowie Strompreisbremsengesetz (StrompreisbremsenG). Aber auch die Verordnungen zur Sicherung der Energieversorgung für mittel- und kurzfristige Maßnahmen (EnSimiMaV und EnSiku- MaV) sehen zusätzliche Pflichten der Vermieter*innen vor, die Einsparpotenziale im Verbrauch – mehr Energieeffizienz – erzielen sollen. Der Aktionismus des Gesetzgebers steht also unter dem Dreiklang Entlastung, Lenkungswirkung/Anreize sowie Förderung. So soll die Energiekrise überwunden und die Dekarbonisierung in der Immobilienwirtschaft erreicht werden. Berlin geht hier mit dem Solargesetz und dem Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz (EWG Bln) voran. Das Ziel – bis 2045 klimaneutral zu werden – ist gesetzt. Dass es 2030 werden kann, hängt von dem Volksbegehren am 26. März 2023 ab.
Frau Dr. Ahlers stellt jedenfalls fest, dass der Gesetzgeber hier von den Beteiligten der Wohnungswirtschaft (zu) viel abverlange, weil alles nachhaltig, sozialverträglich, bezahlbar und zügig (Wohnraum schaffen) zu erfolgen habe.

VERUNSICHERUNG IN DER WOHNUNGSWIRTSCHAFT

Dr. Lippert, BBU, führt hierzu passend aus, dass der BBU immer wieder feststelle, dass die Wohnungswirtschaft in Berlin mit der Umsetzung der neuen Regelungen überfordert sei. Vielen Akteuren in der Wohnungswirtschaft falle es manchmal leichter, Bußgelder in Kauf zu nehmen, als Regelungen einzuhalten.

Dies zeigte auch eine Umfrage unter den Veranstaltungsteilnehmer* innen: Kaum eine*r erhalte die monatlichen Informationsschreiben nach der Heizkostenverordnung, wenn es fernablesbare Verbrauchseinrichtungen gebe. Die Wohnungswirtschaft verfüge nur über begrenzte Mittel. Sie stelle sich daher die Frage: Worin soll langfristig investiert werden?

„Vielen Akteuren in der Wohnungswirtschaft falle es manchmal leichter, Bußgelder in Kauf zu nehmen, als Regelungen einzuhalten“

Im Gebäudesektor lautet die politische Zielrichtung: Klimaneutralität bis 2050. Neue Gesetzentwürfe wie der des Gebäudeenergiegesetzes sehen vor, dass jede neu eingebaute Heizung ab 2024 mit mindestens 65 % aus erneuerbaren Energien gespeist wird. In der praktischen Umsetzung heißt das zumindest im Neubau: Anschluss an ein Wärmenetz, Einbau einer Wärmepumpe oder Stromdirektheizungen. Der Einbau reiner neuer Gasheizungen wird damit nicht mehr möglich sein. Abzuwarten bleibt hier, wie der finale Gesetzentwurf des Gebäudeenergiegesetzes aussieht und wie Hauseigentümer, die das finanziell nicht stemmen können, in Zukunft gefördert werden. Zudem seien die Regelungen im Bestand entscheidender als für den Neubau. Die Sanierungsrate sei viel zu gering, um den klimapolitischen Zielen, die gesetzt wurden, nachzukommen. Dabei wolle Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden.

DER WIND WEHT AUS EUROPA

In Deutschland und in Berlin spüre man deutlich den Wind, der aus Europa wehe: Es ist geplant, dass ab spätestens 2032 auch Wohngebäude mit Photovoltaikanlagen ausgestattet werden. Herr Koch, dena, betont, dass man sich in einer Phase der Transformation befinde, die für jede und jeden – also auch bei den Bürgern in Berlin – spürbar ist. Herr Koch spricht hier die Verteilungsgerechtigkeit an: Herausfordernd wird sein, eine Balance zwischen gewollter Anstrengung aller Akteure und notwendiger Entlastung zu finden. Zur Umsetzung der 65 % Erneuerbarer- Energien-Vorgabe für neue Heizungen wird es viele Fragen geben. Nicht zuletzt steht hier auch die Frage der Finanzierung im Vordergrund.

AUCH DIE FÖRDERLANDSCHAFT VERÄNDERT SICH STETIG

In der Diskussion in großer Runde wird anschließend auch auf die Förderung von Maßnahmen im Gebäudebereich eingegangen. Mit der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) ist im letzten Jahr ein neues Förderprogramm an den Start gegangen, um Fernwärmenetze zu stärken. Gerade in Berlin mit einem Rund 2000 Kilometer langen Fernwärmenetz ist dies interessant. Daneben wird der Fokus mit der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) vermehrt auf die Sanierung von Bestandsgebäuden gelegt. Der Energiebedarf soll so weit wie möglich gesenkt werden. Der restliche Bedarf soll durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Innovative Lösungen wie die dezentrale Energieversorgung könnten flächendeckender umgesetzt werden, jedoch ist hier die Komplexität des Energiemarktes der Hemmschuh. „Balkonkraftwerke“, also kleinere PV-Anlagen, die in der Wohnung installiert werden können, werfen neben juristischen Fragen auch rein technische Fragen auf.

DIE TRANSFORMATION GELINGT NUR DURCH MASSNAHMEN AUF ALLEN EBENEN

Eine Transformation des Gebäudesektors hin zu einer vollständigen Dekarbonisierung benötigt nach Ansicht der Protagonisten an diesem Abend also Anreize auf jeder Ebene: Gesetzliche Vorgaben, die den ambitionierten Zielen gerecht werden und gewünschte Maßnahmen nicht verkomplizieren, finanzielle Anreize, um die Bereitschaft der Beteiligten zu stärken, und Antworten auf technische Fragen, die sich weiterhin stellen.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 06/2023 | 72. Jahrgang