Zum Tode von Gesine Reisert
Ein Nachruf
„Ich weiß ja nicht, warum man in Zeiten von Tempomaten noch die Geschwindigkeit überschreiten muss ….“, das ist der Satz, der mir immer einfällt, wenn ich auf der Autobahn beschleunige. Gesine Reisert hatte mich in einem hieraus resultierenden Verfahren erfolgreich vertreten und mir anschließend diese Worte mit auf den Weg gegeben. Ich habe sie nicht vergessen. Unvergessen auch die Erinnerungen, von denen viele Kollegen in den letzten Tagen berichteten, wenn sie von Gesine Reiserts Tod erfuhren. Nicht nur ihre hervorragenden fachlichen Kenntnisse als Fachanwältin für Straf- und Verkehrsrecht, auch ihre darüber hinausgehende Bereitschaft, die Themen in den Blick zu nehmen, die nicht offenkundig waren, zeichneten sie aus.
Gesine Reisert
Nachruf von Karin Susanne Delerue | Rechtsanwältin | DELERUE rechtsanwälte
Schon während der Schulzeit begann ihr Werben um soziale Gerechtigkeit und Teilhabe als Mitglied des Vorstands der sozialistischen Jugend Deutschlands – den Falken.
Ihr Interesse ging auch als Rechtsanwältin über das rein Fachliche hinaus, das Ehrenamt war für sie immer Selbstverständlichkeit. So gehörte sie von 2003 bis 2013 dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin an, in diese Zeit fiel ihre Vizepräsidentschaft in der Funktion der Menschenrechtsbeauftragten.
Aus diesem Engagement heraus resultierte ihre Leidenschaft für die Fortbildung der KollegInnen. Rechtsanwalt Michael Rudnicki erinnert an ihr Engagement, Kollegen in der von ihr als „Bermudadreieck“ bezeichneten Auseinandersetzung mit Rechtschutzversicherern zu schulen und den Rücken zu stärken. Dabei war von Anbeginn an beeindruckend, dass bei aller Höflichkeit die Kollegin nie Rücksicht auf Konventionen nahm, sondern die Dinge beim Namen nannte – um sie zu ändern.
In diese Erinnerung gesellt sich Rechtsanwalt Leif Hermann Kroll, der mit Gesine Reisert und Friedrich H. Humke 2008/2009 ein kleines Seminarprojekt für die Fach anwaltsfortbildung gründete, die „SVO-Seminare“. Zu dritt saßen sie in Gesine Reiserts schöner Friedenauer Altbauwohnung zusammen und schmiedeten Pläne für Werbung, Seminarorte und -themen, schrieben unzählige Hotels an. Später warb dann ein junger, plötzlich bundesweit in den Fokus gerückter Kollege, der die Verteidigung einer Angeklagten in einem großen Terrorismusprozess übernommen hatte, mit seinen besuchten Fortbildungen, darunter just mehrere SVOSeminare, wobei sich die Kollegen einig waren, dass die in jenem Prozess gezeigte Verteidigungsstrategie jedenfalls ganz sicher nicht in ihren Seminaren vermittelt worden war.
Zwischenzeitlich wurde ihr Erfolg als Referentin immer bekannter und sie wurde im Jahr 2012 vom Vorstand des Deutschen Anwaltsinstitut e.V. zur Leiterin des Fachinstituts für Verkehrsrecht bestellt und übte diese Funktion bis 2016 aus. Sie war dort viele Jahre sowohl vor, während als auch nach der Leitung des Fachinstituts für Verkehrsrecht regelmäßig als beliebte und renommierte Referentin tätig. Ihre Eigenschaft als Fachinstitutsleiterin war getragen von der tiefen Überzeugung, dass hochwertige berufliche Fortbildung einen zentralen Schlüssel für anwaltlichen Erfolg im Sinne optimaler Interessenwahrnehmung der Mandanten darstellt. Sie brannte für die Themen, die ihr wirklich am Herzen lagen. Dabei ging ihr Engagement im DAI weit über die rein fachliche Inspiration von Tagungen und Seminaren hinaus. Ihr konzeptionelles Arbeiten an Formaten und didaktischen Methoden der Wissensvermittlung hat ihr Wirken als Fachinstitutsleiterin besonders charakterisiert und die dafür aufgewandte Zeit überstieg oftmals das in einem Ehrenamt üblicherweise Erwartbare. Als Referentin wurde sie von den Teilnehmenden durchweg für ihre große Praxisnähe und qualifizierte Vermittlung des Fortbildungsinhalts geschätzt, den sie auch in Lehrbüchern vermittelte.
Dies galt ebenso für ihre Tätigkeit im Gesetzgebungsausschuss für die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im DAV, dem Geschäftsführenden Ausschuss der ArGe Kanzleimanagement im DAV und nicht zuletzt auch für den Vorbereitungsausschuss des Verkehrsgerichtstages und der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen e.V., denen sie langjährig angehörte.
Viele Jahre kämpfte sie gegen ihre Erkrankung, nutzte die veränderte Wahrnehmung aber auch, andere hieran teilhaben zu lassen, indem sie weitere Konzepte entwickelte. Nun stand sie den KollegInnen auch als Mediatorin, zertifizierter Coach und Expertin in Resilienz und Stressmanagement zur Verfügung. Sie war überzeugt, dass nur ein gesunder Umgang mit sich selbst eine hohe Qualität juristischer Arbeit ermöglichte. Bei ihrem Tod war sie nahezu exakt 30 Jahre als Rechtsanwältin zugelassen. Sie hat diesen Beruf bis zuletzt leidenschaftlich ausgeübt.
Gesine Reisert hinterlässt neben ihrem großen Freundeskreis ihre Familie, ihren Ehemann und ihre Tochter. Ihnen gilt unsere Anteilnahme.