Zurück in die Schule!

Aus dem Schulprojekt des Berliner Anwaltsvereins

Nein, das ist keine an mich gerichtete Auflage gewesen. Im Rahmen unseres Schulprojekts des Berliner Anwaltsvereins war ich Anfang Mai in die Grünauer Gemeinschaftsschule in Treptow-Köpenick eingeladen. Ich durfte im Fach Ethik einer neunten Klasse als Rechtsanwalt sprechen. Da ich wohl nicht gerade das Musterbeispiel eines besonders ethischen Menschen bin, musste ich mir ein paar Notizen machen. … Ich habe natürlich aus der rechtlichen Sicht vorgetragen, sonst hätten sich die Schülerinnen und Schüler ja nicht extra einen Rechtsanwalt, sondern einen Philosophen eingeladen.

Jörg Schachschneider | Rechtsanwalt | Vorstandsmitglied des BAV | Mitglied der Satzungsversammlung | www.BerlinerAnwalt.com

RECHT UND ETHIK

Es war die erste Stunde, von 8:15 bis 9:15 Uhr, = ich musste sehr früh aufstehen, oder mit anderen Worten: Booaah ey, was für eine Hinrichtung! Selbstverständlich hatte die Klasse aber Anspruch auf einen topfitten Rechtsanwalt. Ich begann mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, Artikel 1–3, wonach alle Menschen und alles Leben gleich viel wert sind. Dieser unumstößlich geltende Grundsatz wird, meistens wohl unbewusst, leider nicht durchgängig beachtet. Das fängt schon in der Berichterstattung an, wenn es häufig bei Unglücken heißt: „Viele Schwerverletzte/ Tote, darunter drei Kinder“. Haben Sie es jemals umgekehrt gelesen, dass es etwa bei einem Schulbusunfall hieße: „18 Verletzte, darunter ein Erwachsener“? Daran anknüpfend brachte ich den Entführungsfall „von Metzler“ mit dem Handeln des damaligen stellvertretenden Frankfurter Polizeipräsidenten Daschner, der dem Tatverdächtigen Folter androhen ließ, um so den Aufenthaltsort des entführten Kindes erfahren zu wollen. Nach meiner Meinung war das neben einem offensichtlichen Gesetzesverstoß auch zutiefst unethisch. Ich stellte die Frage in den Raum, ob der sehr hohe Beamte ebenso gehandelt hätte, wenn es sich bei der entführten Person nicht um ein Kind und nicht um ein Kind aus einer sehr reichen und einflussreichen Familie gehandelt hätte, und was wäre, wenn der Verdächtige unschuldig gewesen wäre. Ein Schüler fragte daraufhin, ob denn die beteiligten Polizisten selbst Eltern gewesen seien. Ich dachte, Donnerwetter, der denkt aber mit und weiter und stellt eine hochinteressante Frage!

RECHT AUF FAIRES VERFAHREN

Anschließend stellte ich den Kern des strafrechtlichen Verfahrensrechts dar, dass auch der allerschlimmste Täter, der bis zur Verurteilung ja auch nur der Tat verdächtig ist, Anspruch auf ein faires Verfahren und auf Verteidigung hat. Alles andere widerspricht dem Rechtsstaat und ist auch unethisch. Natürlich kam die Frage, wie man das als RA mit seinem Gewissen vereinbart, wenn man für einen Schuldigen einen Freispruch erreicht, noch dazu vielleicht für einen Mörder. Zur Abrundung brachte ich noch den Schulbuchfall des Brett des Karneades.

AUFGEWECKTE SCHULKLASSE

Um ethische Fragen nicht nur anhand des Strafrechts darzustellen, ging ich auch auf die zivilrechtliche Tätigkeit ein. Ich stellte dar, dass man als Rechtsanwalt ab und zu mal zu der Erkenntnis gelangt: „Ich hätte auch auf der Gegenseite für diese gewinnen können!“ Und wenn man das von sich sagen könne, dann sei man eine erfolgreiche Anwältin oder Anwalt. Aber hey, keine Bange, ich habe dazu gesagt, dass diese Ansicht nicht unbedingt ethisch ist –, aber das hatte die sehr aufgeweckte Schulklasse auch schon selbst bemerkt.

„Die Klasse selbst führte mit ihren durchdachten und interessierten Fragen durch die Stunde“

Die Klasse selbst führte mit ihren durchdachten und interessierten Fragen durch die Stunde. Meine lose Gliederung brauchte ich gar nicht. Und so verflog die Zeit wie im Nu, und die Lehrerin musste mich um 9:14 Uhr darauf aufmerksam machen. Während ich zuvor dachte, hhmmm, was machst du, wenn du nach einer halben Stunde schon durch bist? Dann wollte ich eben noch ein wenig den Beruf des RA vorstellen, und dass insbesondere mein Aufzug nicht berufsimmanent ist, dass man es ganz bestimmt nicht so machen muss, aber eben kann – weil der Beruf des RA auch in dieser Hinsicht ein freier Beruf ist. Aber die Zeit war um. Über den schönen Applaus, der naturgemäß deutlich größer war als in der Satzungsversammlung, habe ich mich sehr gefreut. Die Klassensprecherin überreichte mir noch einen Pralinenkasten, eine sehr nette Geste! Dieser war natürlich ca. 70 Minuten nach dem Öffnen alle, obwohl ich es mir eingeteilt hatte (dachte ich).

FAZIT

Machen Sie sich über die „Jugend von heute“ nicht allzu große Sorgen. Die können sogar auch noch Kopfrechnen, wie sich in meinem kleinen Gewinnspiel zeigte. Wissen Sie aus dem Stehgreif, wie viel 7 × 17 sind? 😉

Heft 07 / 08 | 2024 | 73. Jahrgang