125 Jahre JVA Tegel

Eines der ältesten Gefängnisse Berlins, das eigentlich ein Ort des Gedenkens sein sollte

Anlässlich des langjährigen Bestehens fand am 6. Oktober eine Veranstaltung in der Anstaltskirche statt; begleitet durch die Musik der Kirchenorgel und einer aus Insassen bestehenden Band. Für manche Gäste war es das erste Mal, dass sie ein Gefängnis betreten. Die Veranstaltung war jedoch kein Fest oder Jubiläum, wie der Anstaltsleiter, Martin Riemer, betonte. Denn Anlass zu feiern gab es aufgrund der dunklen Vergangenheit des Gefängnisses nicht.

Philipp Langhaeuser | Rechtsanwalt | Liebert & Röth Rechtsanwälte | www.liebert-roeth.de

Die alten Backsteingebäude zeugen von der Geschichte. Die heutige Justizvollzugsanstalt Tegel wurde als „Königliches Strafgefängnis Tegel“ am 1. Oktober 1898 eröffnet. Während der NS-Zeit warteten hier viele Angehörige des politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und militärischen Widerstands auf ihre Verfahren vor dem Volksgerichtshof und bangten dabei um ihr Leben. Viele Inhaftierte wurden aus Tegel direkt in die Hinrichtungsstätten in Plötzensee oder Brandenburg verbracht und dort ermordet.

Nach der Wende waren durch die Außerbetriebnahme der Ostberliner Gefängnisse die übrig gebliebenen Gefängnisse stark überbelegt. In Tegel lebten Insassen zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen (siehe zuletzt Beschluss vom 14.07.2015 des BVerfG über eine im Jahr 2009 vollzogene Haft, Az. 1 BvR 1127/14). Der schwerste Vorwurf, den man einer rechtsstaatlichen Institution machen kann, wie Martin Riemer betonte.

„Die Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz, Felor Badenberg, gab finanzielle Zusagen für die längst überfälligen Arbeiten“

Noch heute sind die räumlichen Bedingungen in der JVA teilweise schlecht. Dringend erforderliche Sanierungen wurden von der bisherigen Stadtpolitik aktiv ausgebremst, um zu sparen. Die Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz, Felor Badenberg, versprach daher, Versäumnisse der bisherigen Politik zu korrigieren, und gab finanzielle Zusagen für die längst überfälligen Arbeiten. Etwas unglücklich formuliert betonte sie, dass auch Gefangene das Recht haben, menschenwürdig untergebracht zu werden (versteht sich von selbst, oder?). Martin Riemer betonte, dass es nur wenige Orte gebe, an denen Menschen mehr Macht über andere ausüben. Deshalb sei gut qualifiziertes und einfühlsames Personal elementar. Dieses sei jedoch aufgrund von hoher Fluktuation schwierig zu halten, was zu einer anspruchsvollen Personalsituation führe. Positive Errungenschaften der JVA seien die Gefangenenzeitschrift Lichtblick und die sozialtherapeutische Anstalt. Hervorzuheben sei auch der kompetente Umgang mit Schwerstkriminellen. Martin Riemer betonte, dass die JVA hier für ihre Resozialisierungserfolge über die nationalen Grenzen hinweg anerkannt sei.

„Wie die Insassen die Bedingungen in der JVA erfahren und was sie über die Einrichtung denken, erfuhren die Gäste der Veranstaltung nicht“

Ziel des Strafvollzugs ist es, die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten und Straftätern neue Chancen zu ermöglichen. Beides gelingt durch Resozialisierung. Dies erfordert jedoch Begegnungen auf Augenhöhe. Daher wäre eine Stimme der Gefangenen bei der Veranstaltung wünschenswert gewesen. Mit Ausnahme der Band waren diese bei der Veranstaltung nicht vertreten. Wie die Insassen die Bedingungen in der JVA erfahren und was sie über die Einrichtung denken, erfuhren die Gäste der Veranstaltung nicht. Das wäre jedoch ein wertvoller Beitrag für die Öffentlichkeit gewesen. Wer sich für die Geschichte des Gefängnisses und die zahlreichen bekannten Persönlichkeiten, die dort Zeit verbringen mussten, interessiert, kann sich in der Zeitreihe der Stadt Berlin unter https://www.berlin.de/ justizvollzug/anstalten/jva-tegel/die-anstalt/historie/ informieren.

Exklusiv für Mitglieder | Heft 12/2023 | 72. Jahrgang