Das Osttreffen des FORUMs Junge Anwaltschaft

I. WARUM EIN OSTTREFFEN?

Die Herausforderungen für die Anwaltschaft in den kommenden Jahren sind zahlreich und vielschichtig. Die Themen reichen vom Fachkräftemangel über die Integration digitaler Arbeitsweisen bis hin zu Fragen der Nachfolgeregelung.

Insbesondere die junge Generation der Anwaltschaft sieht sich diesen Entwicklungen gegenüber. Während eine Vernetzung in städtischen Ballungsräumen relativ problemlos möglich ist, stellt sich die Situation im ländlichen Raum ganz anders dar: Die Bevölkerung erlebt eine zunehmende „Landflucht“ innerhalb der Anwaltschaft. Hinzu kommt eine besorgniserregende Pensionierungswelle – auch in den Gerichten und Staatsanwaltschaften.

Angélique Semmler | Landes- und Regionalbeauftragte des FORUMs Junge Anwaltschaft Berlin | Rechtsanwältin in der Sozietät „Die Immobilienanwältinnen“ | Mitglied der Redaktion des Berliner Anwaltsblatts | www.immobilienanwaeltin.de

Allan Böhner | stellvertretender Regionalbeauftragter des FORUMs Junge Anwaltschaft Berlin | Rechtsanwalt bei BETHGE.REIMANN.STARI Rechtsanwälte Partnerschaft mbB | www.brs-rechtsanwaelte.de

Besonders betroffen sind in alarmierender Weise die sog. neuen Bundesländer. In einigen Regionen sind anwaltliche Dienstleistungen aufgrund des akuten Fachkräftemangels kaum noch erreichbar; Rechtssuchende müssen weite Wege in größere Städte auf sich nehmen. Zugleich führen überlange Verfahrensdauern zu wachsender Unzufriedenheit in der Bevölkerung – ein Umstand, der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien zunehmend Auftrieb gibt. Diese haben jedoch kein Interesse an konstruktiven Lösungen, da sie sich damit die Grundlage ihrer eigenen Rhetorik entziehen würden.

Vor diesem Hintergrund haben sich die Regionalbeauftragten des FORUMs Junge Anwaltschaft aus Berlin, Brandenburg und Halle (Saale) entschlossen, ein Osttreffen einzuberufen. Ziel war es, den Fokus auf Ostdeutschland zu richten, die Herausforderungen der nicht nur jungen Anwaltschaft offen zu benennen und im großen Rahmen zu diskutieren. Verbunden hiermit war auch die Hoffnung, etwas in Bewegung zu setzen und (wenn auch nicht von heute auf morgen) mit dazu beizutragen, die Nachwuchssituation der Anwaltschaft in Ostdeutschland zu verbessern.

Halle (Saale) hat sich dabei als idealer Veranstaltungsort erwiesen: nicht nur wegen seines Charmes und der guten Erreichbarkeit, sondern auch, weil mit Luisa Mebus dort die einzige Regionalbeauftragte des FORUMs Junge Anwaltschaft in Sachsen-Anhalt tätig ist.

II. ABLAUF

Nach monatelanger Vorbereitung trafen sich die Teilnehmenden an einem sonnigen Samstag, dem 17. Mai 2025, in der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale). Nach einer kurzen Begrüßung brachte Cornelia Süß, Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses des FORUMs Junge Anwaltschaft, uns zunächst auf den aktuellen Stand zur Entwicklung der Anwaltszulassungen und ordnete diese statistisch und inhaltlich ein.

Die Zahlen zeichnen ein erschreckendes Bild: Während die Zulassungen in den größeren Städten zwar ebenfalls rückläufig, jedoch noch vergleichsweise unauffällig sind, ist die Entwicklung in manchen Regionen besonders alarmierend. So wurden im Jahr 2024 in Brandenburg lediglich 26 Kolleg:innen zugelassen. Der Rückgang bei den „klassischen“ Rechtsanwält:innen wird durch den Anstieg an Syndikuszulassungen zum Teil überdeckt – ein verzerrtes Bild also, denn Syndizi stehen dem freien Mandantenmarkt nicht zur Verfügung.

Es folgte ein offener, konstruktiver Austausch in großer Runde. Neben zahlreichen Berliner Kolleg:innen nahmen auch Rechtsanwält:innen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt teil. Unter den Gästen waren zudem der Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen-Anhalt, die Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Berlin, Mitglieder des Vorstands des Berliner Anwaltsvereins sowie die stellvertretende Vorsitzende der Vereinigung der ARGE Anwältinnen. Auch Referendar:innen brachten ihre Perspektiven ein. Gemeinsam wurde über Ursachen, Herausforderungen und denkbare Lösungen diskutiert – und schnell war klar: Die Problemlage ist komplex, einfache Antworten gibt es nicht. Stattdessen muss an vielen Stellen gleichzeitig angesetzt werden.

„Die Problemlage ist komplex, einfache Antworten gibt es nicht“

Ein Schwerpunkt lag auf der Reform der juristischen Ausbildung – sowohl im Studium als auch im Referendariat. Positiv bewertet wurde die zunehmend flächendeckende Einführung des Bachelor of Laws an den Universitäten. Gleichwohl wurde kritisch angemerkt, dass psychische Belastungen bei Jurastudierenden weiterhin zu wenig Beachtung finden. Auch die wachsende Zahl von E-Examina wurde als Fortschritt begrüßt – allerdings nur als erster Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Reform der ersten juristischen Prüfung. Dass die Justizminister:innen im vergangenen Jahr eine Reform für „nicht angezeigt“ hielten, wurde von vielen mit Unverständnis aufgenommen.

Auch das Referendariat wurde als dringend reformbedürftig erkannt. Die Zahl der Plätze im juristischen Vorbereitungsdienst hängt unmittelbar von der Verfügbarkeit qualifizierter Ausbilder:innen ab – ein Engpass, der das System zunehmend belastet. Einigkeit bestand darin, dass junge Jurist:innen verstärkt für Tätigkeiten im ländlichen Raum gewonnen werden müssen. Doch dem stehen strukturelle Hürden entgegen, etwa ein mangelhafter ÖPNV, der viele Regionen schwer oder gar nicht erreichbar macht. Dabei wurde auch die Höhe der Unterhaltsbeihilfe thematisiert, die ohnehin bereits niedrig ist und insbesondere für Referendar:innen im ländlichen Raum – mit zusätzlichen Ausgaben etwa für Fahrtkosten und mangelnden Nebenverdienstmöglichkeiten – das Referendariat zu einem finanziellen Drahtseilakt macht.

Besonders bereichernd war, dass viele Teilnehmende aus eigener Erfahrung berichten konnten – aus dem Referendariat oder von der Herausforderung, sich als junge Anwältin bzw. junger Anwalt in den neuen Bundesländern zu vernetzen. Gerade Letzteres wurde als großes Defizit sichtbar. Angestoßen wurde die Idee, gerade in den kleineren Landgerichtsbezirken WhatsApp-Gruppen zu etablieren, durch die niedrigschwellig die Kontaktaufnahme zueinander möglich ist.

Auch das Thema “Kanzleiübernahme” wurde angesprochen. Während früher die eigene Kanzlei als Altersvorsorge gesehen wurde, die man mit einer entsprechend „saftigen“ Ablösesumme an junge Kolleg:innen verkaufen konnte, ist dies heute nicht mehr der Fall. Es finden sich keine Interessenten mehr. Anzeigen, die groß verkünden, es werde ein Nachfolger für eine „30 Jahre bestehende Kanzlei mit etablierten Mandantenstamm“ gesucht, locken heutzutage niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Gefragt sind an dieser Stelle Commitment von beiden Seiten: die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen, Wissen zu teilen und gemeinsam neue Wege zu gehen. So wurde die Erwähnung einer erfolgreich geplanten Kanzleinachfolge in der Teilnehmendenrunde mit dem Wunsch kommentiert, so etwas auch finden zu wollen.

Nach drei Stunden intensiver Diskussion war es höchste Zeit, den Austausch beim gemeinsamen Mittagessen – mit viel Spargel – weiter zu vertiefen. Der Tag klang mit einem Besuch im Kunstmuseum Moritzburg aus, das allen Teilnehmenden eindrucksvoll den kulturellen Reichtum Halles näherbrachte und dessen Besuch von den Autoren allen Lesenden ans Herz gelegt wird.

III. FAZIT

Das Osttreffen war ein voller Erfolg. Schon während der Veranstaltung wurde von vielen Seiten eine Wiederholung angeregt und erste Zusagen erteilt. Das Treffen zeigt: Der Bedarf an Austausch, Vernetzung und gemeinsamer Strategie ist groß und Synergien sollten genutzt werden.

Klar ist auch, dass die Bundes- und Landespolitik gefragt ist, hier in den aktiven Dialog und die Zusammenarbeit mit den Anwaltvereinen, den Rechtsanwaltskammern, vor allem aber auch den Studierenden und Referendar:innen zu gehen und die Ausbildungsbedingungen zu verbessern.

„Nur gemeinsam lassen sich die Herausforderungen der Zukunft angehen“

Doch auch wir selbst sind gefragt. Vor allem, wenn es um Vernetzung und Austausch vor Ort geht. Nur gemeinsam lassen sich die Herausforderungen der Zukunft angehen. Es werden in den neuen Bundesländern dringend weitere Regionalbeauftragte benötigt, die das FORUM Junge Anwaltschaft vertreten, um jungen Kolleg:innen dort eine Anlaufstelle zu bieten und den Austausch zu fördern, aber auch, um eine Verbindung zu den örtlichen Anwaltvereinen und älteren Kolleg:innen herzustellen. Nur gemeinsam können wir etwas bewirken.

Für den Fall, dass ein weiteres Osttreffen stattfindet – was sehr zu begrüßen wäre –, richtet sich der Appell auch an Anwaltsvereine, Rechtsanwaltskammern und die Kollegenschaft insgesamt: Die Teilnehmendengruppe in Halle war zwar engagiert und vielfältig, aber mit rund zwanzig Personen noch zu klein, um die ganze Band breite der Herausforderungen abzubilden. In Zukunft sind alle Beteiligten gefordert, zur Teilnahme zu motivieren und selbst teilzunehmen – damit der Austausch wächst und echte Impulse entstehen können.

Heft 07/08 | 2025 | 74. Jahrgang