DAV weiht neuen Gedenkort für Hans Litten ein

„Er ist kompromisslos für diejenigen eingetreten, die seine Hilfe brauchten“

Berlin, 8. November – Hans Litten ging als „Anwalt der kleinen Leute“, unerbittlicher Gegner der Nationalsozialisten und Kämpfer für Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit in die Geschichte ein. Jetzt würdigt der Deutsche Anwaltverein den großen Rechtsanwalt mit einer neu eingeweihten Gedenkstätte.

Dr. Sylvia Ruge | Hauptgeschäftsführerin des DAV | Tim Sander | Referent Politische Kommunikation des DAV

„Hans Litten ist von den Nazis verhaftet worden, weil er eine Tätigkeit ausgeübt hat“, so DAV-Präsidentin Edith Kindermann in ihrer Rede zur Einweihung, „die im wahrsten Sinne des Wortes eine anwaltliche Tätigkeit war: Im kompromisslosen Eintreten für diejenigen, die seiner Hilfe bedurften, die ohne ihn der Willkür der Staatsmacht ausgeliefert gewesen wären. Hans Litten bezahlte für seinen entschlossenen Einsatz gegen das Unrecht letztlich mit dem Leben. Wie damals ist es heute erneut an uns, den demokratischen Rechtsstaat vor autoritären, antidemokratischen Kräften zu verteidigen. Dass die neue Gedenkstätte das Wirken Hans Littens sichtbar in Erinnerung ruft, ist deshalb umso wichtiger.“

WÜRDIGER ERINNERUNGSORT GESCHAFFEN

Die von Kindermann angesprochene Sichtbarkeit war bislang nicht gegeben: Im Zuge der Kriegswirren ist die Information darüber verloren gegangen, wo genau Hans Litten begraben wurde. Bis dato erinnerte nur eine unscheinbare Familien-Grabplatte auf dem Friedhof Pankow III an ihn. Dem DAV-Präsidium war es schon seit längerer Zeit ein Anliegen, für Hans Litten eine würdige Erinnerungsstätte zu schaffen. In Abstimmung mit Patricia Litten, einer Nichte von Hans Litten, hat der DAV nun die Gedenkstätte an einen zentralen Ort des Pankower Friedhofs verlegen lassen. Damit einher ging die Ausstattung des Erinnerungsortes mit einer Stele sowie eine gärtnerische Gestaltung. Über einen Barcode sind Informationen zu Leben und Wirken Hans Littens abrufbar. Für die Pflege der Gedenkstätte sorgt der DAV.

ANWALT UND FREIGEIST

Hans Litten wurde 1903 in Halle (Saale) geboren und war zunächst der Kunst zugewandt. Aufgrund familiärer Konventionen nahm er dennoch in Berlin ein Jurastudium auf – und bestand mit Bestnoten. Mit seiner Zulassung 1928 entwickelte er sich schnell zu einem leidenschaftlichen Anwalt, der vor allem die „kleinen Leute“ vertrat. Durch seinen unerschrockenen Einsatz für Opfer nationalsozialistischer Schlägertrupps machte er sich die NSDAP zum Feind. Eines der berühmtesten Beispiele für Littens anwaltliches Wirken ist der sogenannte Edenpalast-Prozess aus dem Frühjahr 1931. In dem Strafverfahren gegen einen SA-Trupp vertrat er als Nebenklägervertreter drei durch die Schüsse von SA-Leuten verletzte Arbeiter, weil er – so Litten in seinem Antrag zur Beiordnung – „die Interessen der Nebenkläger keineswegs ausreichend durch die Staatsanwaltschaft wahrgenommen“ sah. Die Staatsanwaltschaft hatte aus seiner Sicht viel zu kurz gegriffen. Die Schüsse, so Litten, seien eben nicht die Tat eines Einzelnen, sondern von allen Angeklagten „als eigene gewollt“. Somit liege Mittäterschaft vor. Der Vorwurf müsse daher planmäßiger, versuchter Mord am politischen Gegner lauten. Littens Ziel war es, die politischen Motive der Angeklagten deutlich zu machen, Gewalt und Terror der SA als Teil der Strategie der Nationalsozialisten zu entblößen. Dies war deshalb so wichtig, da Adolf Hitler vor dem Hintergrund der jüngsten Wahlerfolge alles daransetzte, die NSDAP nicht mehr als revolutionär, sondern als „legal“ erscheinen zu lassen. Und so holte Litten Hitler selbst in den Zeugenstand. Dem jungen Anwalt gelang es, den NSDAPVorsitzenden argumentativ in die Ecke zu treiben. Diese Demütigung sollte Hitler ihm nicht mehr vergessen.

Am 28. Februar 1933 – nur einen Monat nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten – steckten NS-Schergen Hans Litten in sogenannte Schutzhaft. Damit begann ein Leidensweg, der im KZ Dachau sein Ende fand. Nach jahrelanger Folter und Misshandlung wurde Hans Litten am Morgen des 5. Februar 1938 erhängt aufgefunden. Ob es sich bei seinem Tod um Selbsttötung oder Mord handelte, ist bis heute ungeklärt.

„DER BLICK ZURÜCK LÄSST UNS SCHANIERSTELLEN SEHEN“

„Ich möchte mich beim Deutschen Anwaltverein dafür bedanken, dass er die Erinnerung an meinen Onkel wach hält“, so Patrica Litten. „Damals und heute lassen sich nicht einfach so vergleichen. Dennoch ermöglicht der Blick zurück, die Schanierstellen zu sehen, an denen man hätte andere Abzweigungen nehmen können. An einer solchen Stelle scheint die Welt heute wieder zu stehen. Wir dürfen deshalb aber nicht in Verzweiflung abrutschen, sondern beherzt für Rechtsstaat und Gerechtigkeit eintreten. Hierbei möge Hans Litten uns Vorbild sein.“

Exklusiv für Mitglieder | Heft 12/2023 | 72. Jahrgang